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Alexander Rahr findet nicht Anstößiges an einem Ehrendoktor für Putin (Foto: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) |
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Montag, 02.08.2004
Ehrendoktor Putin und die ZivilgesellschaftMoskau/Berlin. Im Vorfeld des Petersburger Dialogs und der deutsch-russischen Regierungskonsultationen wird in Hamburg zum Teil heftig diskutiert, ob die Entscheidung der Hamburger Universität richtig ist, Wladimir Putin die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Alexander Rahr, Mitglied im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs, ist dafür zum Wohle der deutsch-russischen Beziehungen.
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www.aktuell.RU: Vorweg ganz kurz die Frage, die in Hamburg diskutiert wird: sind Sie dafür oder dagegen, dass Wladimir Putin die Ehrendoktorwürde der Hamburger Uni verliehen
bekommt?
Rahr: Ich bin dafür. Er hat sich Verdienste gegenüber der Stadt Hamburg erworben, besonders in der Entwicklung der Beziehungen zu St.Petersburg. Sie liegen etwa 15 Jahre zurück, aber nichtsdestotrotz hat er es gemacht. Und ich glaube, dass eine solche Geste den deutsch-russischen Beziehungen auf jeden Fall vom Nutzen sein könnte.
www.aktuell.RU: Aber belastet die Diskussion in Hamburg jetzt nicht eher die Beziehungen? Putin wird von den Kritikern vorgehalten, er sei schuld am Tschetschenienkrieg, unterdrücke die Medien und jetzt auch noch liberales Unternehmertum.
Rahr: Der Hintergrund, auf dem sich heute die deutsch-russischen Beziehungen abspielen, ist in der Tat leider katastrophal geworden. Katastrophal negativ, was die deutsche Berichterstattung über Russland angeht. Es werden Floskeln und Halbwahrheiten gebraucht. Man steigt aus meiner Sicht journalistisch gar nicht wirklich hinter die tatsächlichen Inhalte der Chodorkowski-Affäre. Man benutzt stattdessen einfach den Fall Chodorkowski, um mit der Keule auf Putin einzuschlagen.
Genauso interessiert die westliche Öffentlichkeit herzlich wenig, wie Russland heute in Tschetschenien versucht, nach der Ermordung von Kadyrow eine politische Lösung durch freie Präsidentschaftswahlen herbeizuführen. Statt dessen wird diese Tatsache völlig ignoriert. Und man spricht davon, was man seit 10 Jahren immer wieder sagt, dass Menschenrechte in Tschetschenien von Putin mit Füssen getreten werden.
Dasselbe mit der Pressefreiheit: man steigt gar nicht dahinter, warum im Sender NTW das eine oder andere Programm geschlossen oder reduziert wurde. Sei es vielleicht weil die Zuschauerquoten weg brechen oder weil es eine Programmreform gibt. Stattdessen wird hier auch wiederum die Keule eingesetzt, Putin trete die Pressefreiheit in Russland mit Füssen.
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Probleme in der Gesellschaft - nicht in der Führung
Ich sage nicht, dass in Russland alles ruhig und in Ordnung ist. In Russland gibt es in der Tat bedenkliche Entwicklungen in Bezug auf Demokratie und Meinungsbildung. Allerdings sind die Probleme, die es in Russland gibt, eher in der Gesellschaft selbst verankert und gar nicht mal so sehr in der Führung.
Das alles wird hier ignoriert, und ich befürchte einfach, dass der Protest, der von einigen Hamburger Universitätsprofessoren jetzt so lauthals geäußert wird, hier darauf basiert, dass diese Personen zu wenig Informationen darüber haben, was in Russland passiert. Sie lassen sich von Klischees leiten, die mit den tatsächlichen Entwicklungen in Russland wenig zu tun haben.
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www.aktuell.RU: Wladimir Putin ist bereits Träger von insgesamt sechs
Ehrendoktorhüten. Gerhard Schröder wurde vor einem Jahr in Anwesenheit
Putins zum Dr. hc. der Universität Petersburg. Willy Brandt war Ehrendoktor der Moskauer Lomonossow-Universität. Halten Sie es für sinnvoll, dass in der internationalen Praxis Ehrendoktorwürden zur persönlichen Aufwertung guter staatlicher Beziehungen eingesetzt werden?
Rahr: Ich bin nicht der Spezialist, um diese Frage so zu beantworten. Aber diese Praxis hat sich seit dem 2.Weltkrieg eingebürgert. Als eine besondere Geste an bestimmte Staatchefs und Minister, Außenminister vor allen Dingen, die für die Beziehungen zweier Staaten viel getan haben. Damit hat nicht Russland angefangen, auch nicht Deutschland. Das ist halt gängige Praxis.
www.aktuell.RU: Boris Jelzin wurde seinerzeit in Baden-Baden der \\"Deutsche Medienpreis\\" 1996 verliehen. Helmut Kohl persönlich wohnte der Zeremonie bei - zu einem Zeitpunkt, als Jelzin den Tschetschenien-Krieg schon begonnen und die russischen Medien schon gnadenlos für seinen Wahlkampf instrumentalisiert und korrumpiert hatte. War das damals richtig?
Ehrungen sind meist politische Geste
Rahr: Ich weiß wirklich nicht, ob man gerade die russischen Ehrentitel so groß herausbringen sollte. Vielleicht ist die Verleihung solcher Titel an Politiker unsinnig. Natürlich geht es hier nicht immer mit rechten Dingen zu. Aber ich sage nochmals, dass es meistens eine politische Geste ist, um den Aufbau von strategisch wichtigen Beziehungen voranzutreiben. Man will hier bestimmte Politiker ganz besonders ehren und eine andere Art der Ehrung als die Verleihung von Preisen, ist in der Tat noch nicht erfunden worden.
Vielleicht wäre es innenpolitisch klüger gewesen, Putin mit einer Goethe-Medaille auszuzeichnen, wie man es mit Politikern aus Weißrussland gemacht hat. Eine Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg hat ihre Berechtigung. Sie hat ja auch übrigens viele Fürsprecher gefunden bei vielen Wirtschaftsorganisationen, die mit Hilfe Putin Anfang der 90er Jahre ihren Weg über St.Petersburg auf den russischen Markt gefunden haben.
Ich sehe in dieser Verleihung des Ehrendoktorwürde kein rechtstaatliches und auch kein zivilgesellschaftliches Problem. Das Problem, das ich hier sehe ist, dass diese Sache jetzt teilweise künstlich hoch gekocht wird und eher innenpolitische Dimensionen bekommt. Natürlich könnte die Opposition in Deutschland den Versuch unternehmen, die Außenpolitik Schröders in Richtung Russlands aus innenpolitischen Gründen zu kritisieren. Die Sache schaukelt sich so hoch, dass der gesamte Petersburger Dialog und die Regierungskonsultation, die für beide Länder wichtig sind weil wir jetzt am Beginn der konkreten Durchführung von energiepolitischen und anderen Projekten stehen - gefährdet sein könnten, weil Putin sich möglicherweise verschnupft abwendet. Projekte die tatsächlich auf dem aufsteigenden Ast sind, können durch solche Aktionen noch gefährdet werden.
www.aktuell.RU: Sie meinen, Putin wird geschlagen, weil man Schröder meint?
Rahr: Das wollte ich damit auch sagen, dass es nicht nur um Putin, der gnadenlos kritisiert wird, sondern gerade auch um Schröder geht.
www.aktuell.RU: Was würden Sie denn jetzt zur Schadensbegrenzung raten?
Rahr: Ich glaube, dass Schröder überhaupt nicht reagieren sollte. Man sollte den Dingen den Lauf lassen. Die Entscheidung ist ja mehr oder weniger gefallen, ich glaube nicht, dass der Protest wirklich Erfolg haben wird. Er hat die Öffentlichkeit sensibilisiert. Für die Kritik am Tschetschenien-Krieg. Für Kritik am Kampf Putins gegen Großunternehmer, die dabei waren, ihr Business zu stabilisieren. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es in Russland wirklich noch keine freie Presse gibt.
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Der Protest ist laut geäußert worden. Das hat auch teilweise seine Berechtigung, aber nun sollte man in der Tat, nachdem alle gemacht haben, was sie wollten, zur Tagesordnung übergehen und schauen, dass die so wichtigen strategischen Beziehungen zu Russland damit nicht gefährdet werden.
Nur Deutschland an Russlands Integration interessiert
Es ist schwierig genug. Deutschland ist zur Zeit fast das einzige Land, dass sich innerhalb der EU wirklich um eine Integration Russlands in den Westen bemüht. Viele Osteuropäer haben eine anti-russsiche Haltung eingenommen. Es wird sehr schwierig werden, die Russland-EU-Politik so fortzusetzen, wie vor der großen EU-Erweiterung 2004. Wobei Deutschland aus historischen Gründen, die wir alle kennen, eine besondere Verantwortung hat. Deutschland verbindet eine Schicksalsgemeinschaft mit Russland.
www.aktuell.RU: Welche Rolle spielt dabei der Petersburger Dialog, der von Putin und Schröder initiiert wurde aber eben darum auch von manchen als „nicht Zivilgesellschaftliche genug“ gescholten wird?
Rahr: Ich finde diese Kritik absolut ungerecht. Es ist in der Tat so, dass dieser Dialog jetzt am Anfangsstadium steckt und eher von Persönlichkeiten lebt, die an diesem Dialog teilnehmen müssen. Es gibt viele potenzielle Teilnehmer des Dialogs, die zu den anfänglichen Sitzungen vielleicht nicht sofort eingeladen wurden, und deswegen jetzt einen gewissen Frust äußern.
Aber auch viele Journalisten, die sehr kritisch über den Dialog schreiben, müssen aus meiner Sicht einfach verstehen, dass Russland in einem anderen Zeitfenster lebt. Die Zivilgesellschaft ist dort völlig anderes, als z.B. in Polen oder in Tschechien, wo die Zivilgesellschaft ein westliches Model aufnimmt.
In Russland ist das nicht der Fall. Wir haben hier eine ganz andere Entwicklung erlebt. Und eben deshalb führen wir gerade diesen Dialog, weil er so schwierig ist. Ansonsten würden wir uns doch hier nicht die Mühe machen, diesen großen und kostspieligen Dialog mit einem schwierigen Land durchzusetzen, wenn alles schon reif für eine Zivilgesellschaft in Russland wäre.
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Wir haben nicht das Recht, die Russen zu belehren, aber die Verantwortung, sie in einen Dialog mit uns zu verwickeln. Wobei man hier sagen muss, dass von russischer Seite nicht nur Offizielle dran teilnehmen, sondern in der Tat auch Journalisten und Vertreter nicht-offizieller Kreise. Vielleicht nicht in der Größenordnung, wie auf der deutsche Seite, aber nichtsdestotrotz bemüht man sich auch in Russland sehr um Ausweitung des Dialog.
Bei allen Defiziten, die der Dialog sicherlich hat - und das darf man nicht unter den Tisch kehren - er hat vieles angestoßen. Es geht in der Tat wirklich um mehr, als um offziöses deutsch-russisches Palaver.
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