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Es war der Wind, der ihm die Tränen in die Augen trieb, sagt Putin (Foto: TV)
Es war der Wind, der ihm die Tränen in die Augen trieb, sagt Putin (Foto: TV)
Montag, 05.03.2012

Mit einer Träne im Knopfloch - Dialog statt Durchmarsch

Moskau. Putin wischte eine Träne ab, blickte auf 100.000 Jubelnde vor dem Kreml und wetterte gegen Versuche, die Macht zu usurpieren. Es klang sehr nach Durchmarsch. Zur gleichen Zeit diskutierte die Intelligenzia im Staatsfernsehen über die Notwendigkeit des Dialogs.

Es war ein augenfälliger Kontrast, der nicht besser illustrieren könnte, wie sehr sich Russland in den letzten Monaten geändert hat - und in den kommenden Jahren weiter ändern muss, wenn Russland sich nicht selbst zerstören will.

Auf der einen Seite die ihrem Führer vor dem Kreml bedingungslos zujubelnde Masse von meist jugendlichen Fähnchenschwingern, auf der anderen Seite die zivilgesellschaftliche Vollversammlung der altgedienten intellektuellen Honoratioren und neuen Oppositionellen im Staatsfernsehen, die stundenlang und immer wieder die Notwendigkeit der Wende, der Reformen und des politischen Dialogs beschwor.

Hauptidee: der Umschwung in Russland ist mit den Wahlen nicht beendet, er fängt erst an. Hauptsache - keine Revolution. Putin hat die Mehrheit im Lande, aber er muss jetzt trotzdem auch die Opposition und die "neue Mittelschicht" in den Städten gewinnen.

Fernsemoderator Wladimir Solowjow hatte vor den Kameras des Staatsfernsehens "Rossija 1" fast alles versammelt, was Rang und Namen in der russischen Politik hat. Sprecher von "Einiges Russland" und der putinschen Volksfront, KP-Chef Gennadi Sjuganow, Michail Prochorow, Sergej Mironow, Grigori Jawlinski, Prochanow und viele andere.

Eine ganz ähnliche Diskussion lief zur gleichen Zeit auch im 1.Programm und an vielen anderen Stellen - ausser vor dem Kreml.

Bei "Rossija 1" waren es die alten Stützen des Systems und die Säulen der Opposition, die hier plötzlich in seltener Eintracht Wege zum Umbruch diskutierten - moderiert von Wladimir Solowjow, der sich in den letzten Monaten mit seinen Fernsehdebatten vor der Duma- und der Präsidentenwahl zu einem politisch-intellektuellen Epizentrum Russlands entwickelt hat.

Bei Russland-Aktuell
• Die Revolution bleibt aus: Putin ist nicht zu schlagen (05.03.2012)
• Wladimir Putin gewinnt die Präsidentenwahlen souverän (04.03.2012)
• Putins Resultat steigt und steigt: knapp 65 Prozent (05.03.2012)
• Webcams: 500.000 Menschen wollen Wahlen online sehen (02.03.2012)
• Der Stimmzettel: Die fünf Bewerber um den Kreml (02.03.2012)
Solowjow hat - natürlich mit Rückendeckung von oben - die politischen Schleusen geöffnet, hat den politischen Umschwung, die Stärkung der Opposition mit vorbereitet, ermöglicht und wiedergespiegelt.

Es sind zwei grundverschiedene Wege in die Zukunft, zwei grundverschiedene Teile der russischen Gesellschaft, die Kundgebung vor dem Kreml und die Diskussion im TV-Studio - die doch zusammengehören.

Die Jubler auf der Strasse und die Fabrikarbeiter und Panzerbauer von Nischni-Tagil einerseits und andererseits die politische Elite, egal wie sehr oppositionell, wie liberal oder sozial sie auch eingestellt sein mag.

Der Antagonismus zwischen den beiden ist nur dann positiv zu lösen, wenn Putin statt des Durchmarsches den Dialog aktiv betreibt. Wenn er seine jubelnden Sturmtruppen und seine martialischen Reden nur dazu nutzt, um sich gegen die radikale Opposition und die Furcht vor einer orangenen Revolution zu rüsten.

Bei Russland-Aktuell
• Die Mobilisierung der schweigenden Mehrheit (28.02.2012)
• Putin-Faktor: Opposition jetzt zum Misserfolg verdammt (26.02.2012)
• Wahlen in Russland: Mittel zur Herrschafts-Bestätigung (24.02.2012)
• Zwei Präsidenten gesucht - zwei Stellenbeschreibungen (19.02.2012)
• Prochorow for President, Kandidat der Gauner und Diebe? (23.01.2012)
Zumindest kündigte Putin-Sprecher Peskow schon am Sonntagabend an, Putin werde den Dialog mit der Opposition suchen.

Und Grigori Jawlinski riet der gestärkten Opposition, bei den kommenden Regionalwahlen ihre Positionen und die Strukturveränderungen in Russland weiter auszubauen.

In den kommenden Wochen wird sich entscheiden, ob das möglich ist, ob die kollektive Vernunft in der immer aktiver werdenden neuen Mittelschicht reicht oder ob Russland in die Konfrontation rutscht.

Ob Putin den Dialog will oder nicht - und ob die herrschenden Clans rund um den Kreml und in den Regionen bereit sind, die Macht zu teilen.


Es scheint jedenfalls, als ob die neue zweite Schlüsselfigur in diesem Spiel der Nickel-Milliardär Michail Prochorow sein wird, der in Moskau und St.Petersburg den zweiten Platz erreichte.



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[email protected] 05.03.2012 - 23:46

Manipulationen gehen in die Zehntausenden

@Paulsen-Consult, Ihr Beitrag hat nicht nur mir gefallen. Liest sich flüssig und ist in sich auch schlüssig


Paulsen-Consult 05.03.2012 - 14:02

Viele offene Fragen nach der Wahl

Eine einzige Frage, die in den westlichen Medien noch offen gehalten wird, ist in Wirklichkeit beantwortet. Putin hat eine deutliche Mehrheit in der russischen Bevölkerung.
Alle anderen Frage sind offen.
Wie wird Putin mit der kritischen russischen Mittelschicht umgehen. Wird er damit fortfahren, sie mental nach Amerika zu exportieren? Hoffentlich nicht.
Die Mittelschicht ist eine der großen Chancen Russlands, wenn das Land eine effektive wirtschaftliche Durchflechtung ähnlich wie Deutschland haben will.
Die Mittelschicht braucht aber ganz besonders einen funktionierenden Rechtsstaat. Wie will Putin den schaffen?
Das Hauptproblem liegt darin, dass Putins Machtapparat eben auf der politischen Einflussnahme der Gerichtsbarkeit fußt. Er müsste also seine eigene Macht einschränken. Ob der kleine Mann wirklich die Größe dazu hat?
Schließlich ist die nächste offene Frage, wie es mit Medwedew weiter geht? er konnte sich vor allem im Bereich der Außenpolitik profilieren, der Bereich der inneren Sicherheit und das Zusammenhalten der Partei wird seine Sache nicht sein. Sowohl Putin, als auch Medwedew sind nun ohne Not in eine jeweils ungünstigere Position geswitscht. Putin hat sich als internationaler Staatsmann wenigstens im Westen eher diskreditiert, als empfohlen, Medwedew wird Putins Apparat als Premierminister nicht handeln können. Ihm fehlt die Hausmacht, der KGB wird ihm auf der Nase herumtanzen.
Genaugenommen war der Switsch ein Fehler.


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