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Gehören die Fenstergitter bald nur noch zu einem Krankenhaus? Eine Verlegung von Julia Timoschenko steht bevor (Foto: tv/.rufo) |
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Donnerstag, 05.04.2012
Timoschenko: Haft in Feindesland und neuer ProzessCharkow. Der Haftort von Julia Timoschenko ist echtes Feindesland für die kranke Ex-Premierin. In Charkow hat ihr Erzfeind, Präsident Janukowitsch, seine Hochburg. Und hier wird ihr bald ein neuer Prozess gemacht.
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Über Schlammpisten und durch tiefe Schlaglöcher führt der Weg zum Straflager von Julia Timoschenko. Anzeichen, dass eine der beliebtesten Politikerinnen des Landes hier ihre international kritisierte siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs absitzt, gibt es kaum.
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Am schweren Metalltor kleben keine Bilder mit ihrem Konterfei oder Blumen, auch Unterstützer campieren nicht im heruntergekommenen Viertel Katschanowka am Rande der ostukrainischen Stadt Charkow.
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Bald Verlegung: Charkower Krankenhaus wird vergittert
Doch schon bald soll sich die Tür mit dem ukrainischen Wappen für die 51-Jährige öffnen. Das Charkower Eisenbahnerkrankenhaus bereitet sich nach Medienberichten bereits auf die Ankunft der prominenten Patientin vor. Einige Fenster seien mit Gitterstäben ausgerüstet worden, hieß es. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte am Montag einer Verlegung Timoschenkos in ein Krankenhaus zugestimmt.
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Manche Experten sehen in der Krankenhaus-Einweisung den ersten Schritt zu einer Behandlung in der Berliner Charité, wie sie die Bundesregierung und die deutsche Klinik anbieten. Seit einem halben Jahr klagt Timoschenko über starke Rückenschmerzen. Von einem Bandscheibenvorfall ist die Rede. «Schwer krank» lautet der Befund des Charité-Neurologen Karl Max Einhäupl.
Mit Timoschenkos Verlegung in eine Spezialklinik will die Ukraine vor der Fußball-Europameisterschaft schön Wetter machen im Westen, sagen Politologen. Keine Kritik am Co-Gastgeber solle das Turnier im Juni überschatten, das die Ukraine gemeinsam mit Polen ausrichtet. Auch Charkow, rund 450 Kilometer östlich von Kiew, ist Spielort.
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Seit Monaten liefern sich Timoschenkos Verteidiger Sergej Wlassenko und die Behörden einen Propagandakrieg um die Meinungshoheit. Kann sich Timoschenko bewegen oder nur liegen? Hat sie eine Dusche in ihre Zelle gebaut bekommen? Bis ins Detail rangelten beide Seiten um eine Untersuchung durch ausländische Ärzte, darunter zwei Spezialisten der Charité.
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Timoschenko ist in Charkow alles andere als ein Idol
In Charkow, der zweitgrößten ukrainischen Stadt, kann Timoschenko nicht auf Mitleid hoffen. Hier hat ihr Rivale Viktor Janukowitschseine Hochburg. Gegen den Staatschef hatte die Politikerin 2010 die Präsidentenwahl verloren.
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Die Industriemetropole Charkow mit etwa 1,8 Millionen Einwohnern ist für die Frau mit dem blonden Haarkranz Feindesland. Für die Allermeisten in der wohl am meisten sowjetisch geprägten Stadt des Landes ist Russisch Muttersprache, die Bande zum nahen Nachbarn Russland sind enger als zu den Landsleuten im Westen. Ukrainisch verstehen sie kaum, die Staatssprache findet sich fast nur auf offiziellen Mitteilungen und in der Metro.
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«Timoschenko hat Dreck am Stecken, das ist klar. Die sitzt zu Recht im Knast», meint der Bankangestellte Pjotr. «Gasprinzessin» wird Timoschenko oft genannt. Kritiker werfen ihr undurchsichtige Geschäfte vor, mit denen sie in den chaotischen 90er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reich geworden sei.
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Auch Taxifahrer Igor ist nicht gut auf die Ikone der Orangenen Revolution von 2004 zu sprechen. «Die ist doch verrückt», schimpft der 46-Jährige. Timoschenko sei selbst Schuld an ihrer Lage - warum habe sie nicht ihre politischen Gegner ausgeschaltet, als sie dazu in der Lage war? «Jetzt hat sie den Salat», sagt Igor und zuckt mit den Schultern.
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Befreiung durch die Fußball-EM ?
Lässt die Ukraine Timoschenko nun tatsächlich nach Deutschland ausreisen, könnte ausgerechnet Janukowitsch am Ende als Gewinner dastehen. Die Europäische Union nennt Timoschenkos Strafe politisch motiviert und verlangt für die Unterschrift unter ein Assoziierungsabkommen ihre Freilassung.
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Der Präsident hätte dann den Weg frei gemacht für bessere Beziehungen mit dem Westen - und sich zugleich einer möglichen Rivalin für die nächste Präsidentenwahl 2015 entledigt. In aktuellen Umfragen liegt Timoschenko nur zwei Prozentpunkte hinter dem Amtsinhaber.
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Neuer Prozess soll in zwei Wochen beginnen
Timoschenko war im Oktober 2011 in einem international als politisch motivierten Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Nun soll die Ex-Regierungschefin vom 19. April an erneut vor Gericht stehen diesmal wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung. Allerdings sei unklar, ob die Oppositionsführerin selbst bei dem Prozess in der Stadt Charkow erscheinen müsse, sagte ihr Anwalt Alexander Plachotnjuk
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Der 51-Jährigen droht eine weitere langjährige Haftstrafe. Zudem fordert die Staatsanwaltschaft eine Rückzahlung von 19,5 Mio. Griwna (etwa 1,8 Mio. Euro). Die Vorwürfe stammen aus den 1990er Jahren, als die Politikerin Chefin eines Energiekonzerns.
(Benedikt von Imhoff, dpa)
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