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Freiherr von Weichs. Kriegsbericht Juni/Juli 1942. (Foto: Weien/.rufo) |
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Samstag, 21.05.2011
Geheimdokumente für Kriegsforschung freigegeben (II)Woronesch. 70 Jahre nach dem Krieg finden Wissenschaftler in den Militärarchiven einzigartige Originaldokumente über die Sommeroffensive 1942. Wir setzen unser Gespräch mit dem Historiker und Buchautor Sergej Filonenko fort.
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R-A: Ihr Buch Die Kriegshandlungen in und um Woronesch aus der Perspektive der Russen und der Besatzer 1942-1943 dokumentiert die Schlacht am Don anhand von Originalberichten der Russen, der Deutschen und deren Satelliten.
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Es enthält unter anderem den umfassenden Bericht Freiherr von Weichs vom Juni/Juli 1942, als der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B die Offensive in Richtung Don eröffnete und Woronesch stürmte. Wie kommt es, dass der Bericht erst jetzt veröffentlicht wird?
Sergej Filonenko: Der Bericht der Heeresgruppe von Weichs lagerte als geheime Kriegsbeute in Moskauer Archiven. 1949 ließ Stalin für den Generalstab eine russische Übersetzung des Berichts anfertigen, die allerdings ebenfalls geheim war.
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In den letzten Jahren hat das russische Verteidigungsministerium rund fünf Millionen bis dahin geheime Dokumente freigegeben und im Zentralen Archiv des Ministeriums in Podolsk zugänglich gemacht. Dazu zählen Untersuchungsprotokolle, Berichte über Unglücksfälle und die im Buch veröffentlichten Kriegsberichte.
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Dossier Maximilian von Weichs |
Der Armee- und Heeresgruppenoberbefehlshaber Maximilian von Weichs (1881-1954) kämpfte in zwei Weltkriegen. Während der deutschen Sommeroffensive 1942 hatte die Armeegruppe von Weichs den Auftrag, die Stadt Woronesch einzunehmen. Später übernahm von Weichs die Führung der Operation Braunschweig (Stalingrad).
Von Weichs nahm an der Eroberung Warschaus, am Balkanfeldzug 1941 und an den Schlachten um Kiew und Brjansk teil. Als Feldmarschall und Oberbefehlshaber Südost organisierte er den Rückzug der Wehrmacht aus Jugoslawien und die Räumung Griechenlands.
Nach dreijähriger amerikanischer Gefangenschaft sollte er 1948 im Prozess Südost wegen Vergeltungsmaßnahmen gegen Partisanen gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden. Er wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen und nicht verurteilt. |
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Beim Weichs-Bericht handelt es sich um detaillierte Aufzeichnungen der Ereignisse an den Kriegsschauplätzen und in den okkupierten Orten und Dörfern am Don. Selbst die Wetterangaben sind verzeichnet. Zum Text gehören zwanzig Anhänge, in Deutsch abgefasst und ins Russische übersetzt, darunter Telegramme, Standortpläne, Generalstabsprotokolle.
Mein Buch wird außerdem erstmals den vollständigen Bericht des russischen Oberbefehlshabers der Front Woronesch, General F. I. Golikow, über die Zerschlagung der 2. deutschen Armee, des italienischen Alpini-Korps und der 2. ungarischen Armee bei Woronesch Anfang 1943 enthalten.
Zwischen Stalingrad und Woronesch hatte sich 1942 eine sehr lange Frontlinie gebildet. Zu ihrer Verteidigung verlagerte Hitler die Hauptkräfte der Verbündeten hierher. Am Don kämpften die 2. ungarische Armee mit mehr als 203.000 Soldaten, die 8. italienische Armee (Armata Italiana in Russia) mit 228.000 Soldaten, die 3. und 4. rumänische Armee, eine slowakische Division, kroatische und finnische Soldaten.
Aus diesem Grunde habe ich auch die Berichte von Moritz Bela, Major des ungarischen Generalstabs, über die Kriegshandlungen an der Ostfront 1942 in das Buch aufgenommen sowie zahlreiche Fotos, die hier in Russland noch niemand gesehen hat. Sie stammen zum Teil aus dem Budapester Militärarchiv und aus dem Militärarchiv des italienischen Verteidigungsministeriums in Rom.
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Die erstmals veröffentlichten Dokumente geben nicht nur Aufschluss über die Kriegshandlungen, sondern auch über die deutsche Besatzungspolitik der Neuen Ordnung, Widerstand und Partisanenkämpfe.
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Eine Postkarte vom Ufer des Dons
R-A: 2011 ist das Italienische Jahr in Russland bzw. das Russische Jahr in Italien. Im Mai findet in Turin die Buchmesse Fiera Internazionale del Libro statt. Russland ist Gastland der Messe. Sie werden Ihr neues auf Italienisch erscheinendes Buch Vincere! Vinceremo! Cartoline sul fronte russo (1941-1942) präsentieren. Was erwartet die Leser?
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Sergej Filonenko: Das repräsentative Album ist gemeinsam mit dem Vize-Direktor des Museums in Trento, Quinto Antonelli, entstanden. Wir veröffentlichen 200 italienische Postkarten, die von der sowjetischen Armee erbeutet wurden. Die Postkarten befanden sich zum Teil in abgefangenen Postsendungen oder bei den Dokumenten, die nach der Zerschlagung der italienischen Armee bei den Soldaten gefunden wurden.
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Sie waren lange Zeit geheim. Ich bin bei Recherchen in den Archiven auf sie gestoßen und habe mich dafür eingesetzt, dass sie für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 2003 wurden sie freigegeben.
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Zeitung Trentino vom 11. November 2008. (Foto: Weien/.rufo) |
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Das Museum in Trento steuerte Postkarten bei, die seinerzeit unter die italienische Zensur fielen, weil die Absender zu pessimistisch von der Front berichteten. Die Verbindungen zu den Italienern sind sehr eng. Im Juni erwarten wir eine Delegation italienischer Wissenschaftler. Jedes Jahr lädt mich der italienische Botschafter zum Tag der Republik ein.
In Ungarn und Rumänien ist das Interesse an unseren Forschungen und Recherchen ebenfalls groß. Die nächste Präsentation unserer Bücher findet am 6. Juli 2011 in Budapest statt. Organisiert wird die Veranstaltung von der Gesellschaft der ungarisch-russischen Freundschaft aus Anlass des 70. Jahrestags des Überfalls auf die Sowjetunion. Im August 2011 bin ich in Rumänien zu Gast.
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Es gab keine guten Besatzer
R-A: Der Stab der italienischen Alpenschützen befand sich in Rossosch, südlich von Woronesch. 55.000 italienische Soldaten waren hier stationiert. Beim Rückzug aus dem Gebiet Woronesch verloren die Alpenschützen mehr Soldaten als im gesamten Ersten Weltkrieg.
Sergej Filonenko: Die Leiden und die Aufopferung der Soldaten des Alpini-Korps sind in den italienischen Memoiren Hauptthema, wenn es um die Kriegsbeteiligung im Osten geht. Die historische Erinnerung eines Volkes darf sich jedoch nicht ausschließlich auf die Erinnerungen der Beteiligten stützen.
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Es kann nicht sein, dass die Erinnerung an die Alpini gepflegt und dabei vergessen wird, dass Mussolini einen Eroberungskrieg führte. Die Pläne, wie das sowjetische Territorium ausgeraubt werden sollte, waren sehr genau. Im Eroberungskrieg ist der Besatzer immer im Unrecht. Es gibt keine guten Okkupanten.
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Aufarbeitung der Weißen Flecken ist nur eine Frage der Zeit
R-A: Die Schlacht um Woronesch und die Beteiligung der deutschen Satelliten an den Kriegshandlungen im Dongebiet waren lange weder in der sowjetischen Geschichtswissenschaft noch international ein Thema.
Viele Dokumente in den Militärarchiven der beteiligten Staaten wie Ungarn und Rumänien oder Italien waren über Jahrzehnte geheim, ebenso wie zahlreiche Dokumente, die als Kriegsbeute in Moskauer Archive gelangten.
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Sergej Filonenko: Über weite Strecken bestimmte der Kalte Krieg die internationalen Beziehungen der Nachkriegszeit. Eine Kooperation der vereinzelt mit dem Thema befassten Historiker kam nicht zustande.
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Ich bin zunächst ungewollt auf die Problematik gestoßen. Auf Drängen der Woronescher Kriegsveteranen sollte Ende der 1970er Jahre ein Buch über die Verteidigung und Rückeroberung Woroneschs verfasst werden. Dazu wurde ich als vorbildlicher Student in die Moskauer Archive abkommandiert.
Das Buch Woronesch-Stalingrad-Berlin wurde allerdings erst im Jahr 2000 veröffentlicht, da viele Dokumente zu jenem Zeitpunkt noch geheim waren. Ich hatte mein Thema gefunden und das Glück, als Student und später als Wissenschaftler in den zentralen Archiven recherchieren zu dürfen.
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Ab 1985 befasste ich mich im Rahmen meiner Promotion mit der sowjetischen Offensive zur Zerschlagung der feindlichen Armeen im Gebiet Woronesch und am Don. Ich stieß hier auf zahlreiche Lücken in den Dokumenten. Material über die 2. ungarische Armee gab es offiziell überhaupt nicht.
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Laut meinen historiografischen Kenntnissen war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die Aufarbeitung dieses weißen Flecks der Geschichte aktuell werden würde.
(Susann Weien/.rufo)
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