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Alexandra Marinina:
Profilerin mit Millionenauflage

Von Ines Lasch. Alexandra Marinina führt immer noch die intelligente Damenriege der russischen Krimi-Schreiberinnen an. Die Auflage ihrer Bücher beträgt inzwischen – vorsichtig geschätzt – mehr als 20 Millionen. Im Unterschied zu ihren Kolleginnen war sie zwanzig Jahre lang selbst mit der Analyse und Aufklärung von Verbrechen am Juristischen Institut des russischen Innenministeriums befasst. Auf Fotos hält sie immer lächelnd einen Brillenbügel mit den Zähnen fest. So, als ob sie gerade mit dem größten Vergnügen über Kommissarin Anastasija Kamenskajas nächsten Fall nachdenkt.

„Über Jahre hatte ich mit dem Verbrechen zu tun und ich verstand, dass an einem Verbrechen weder etwas Interessantes ist noch jemals sein kann. Deswegen sind meine Bücher nicht über Verbrechen. Sie sind über Menschen, ihre Leben, ihre Seelen, ihre Gedanken, über alles, was hinter ihren Handlungen steckt – auch wenn ihre Handlungen Verbrechen sind.“

Die eigentliche Stärke der Marinina besteht daher nicht in der Aufdeckung mafiöser Strukturen und besonders grausamer Verbrechen. Nur bleiben leider die Motive von Tat und Täter oftt auch im Halbdunkel verborgen. Es sind vielmehr die „Sowjetbiotope“ Ermittlungsbehörde und Alltag einer Kriminalistin im heutigen Russland, die punkten: Detailgenau schildert Alexandra Marinina die räumliche und materielle Enge der Behörde, die fehlenden Kommunikationsmittel und schnellen Autos. Keiner der Kollegen lebt in angemessenen Wohnverhältnissen oder hat irgendein anderes großes Los gezogen, weil nicht korrupt – wie denn auch als staatlicher Beamter rund um die Uhr. Die Kollegen unterhalten sich wie früher über ihre beruflichen und privaten Sorgen in einem familiären, aber eher drögen Umgangston, der nach Zynismus schmeckt.

Dazu kommen die ständigen Rückenschmerzen der Kamenskaja, die als Frau Anfang dreißig rund um die Uhr Ketten rauchen und Kaffee trinken würde, wenn da nicht der Lebensgefährte Ljoscha wäre, der sie liebevoll zu den unmöglichsten Zeiten bekocht und ihr über Jahre geduldig einen Heiratsantrag nach dem anderen macht. Seines Zeichens Professor der Mathematik, hilft er der müden blassen Angebetenen noch vom Herd aus bei den nächtlichen Verbrechensanalysen in der klitzekleinen Zweizimmerwohnung. Zum Dank gibt Anastasija im fünften Krimi ihren Widerstand auf und heiratet ihn schließlich. Aber selbst die eigene Hochzeit scheint im Dienste der Gerechtigkeit noch zu platzen. Und Zeit und Geld für die eigene Gesundheit fehlen sowieso.

Die Kollegen der Kripo halten auch nach dem Ende der Sowjetunion wie eine übrig gebliebene Familie wie selbstverständlich zusammen. Angesichts ihrer materiellen Unterlegenheit dem Verbrechen gegenüber und des Kompetenzgerangels mit dem russischen Geheimdienst haben sie im Kampf gegen das Verbrechen gar keine andere Wahl. Durch die Sympathien und den Schutz durch die Kollegen und den väterlichen Chef überlebt Kommissarin Kamenskaja noch jeden ihrer Fälle, wenn auch nur knapp.

Die Sympathien der Alexandra Marinina gelten also eindeutig ihren Berufskollegen. Schwachpunkt der Schriftstellerkarriere: Das kriminelle Milieu trägt häufig kaukasische Familiennamen, so dass sich die Autorin dem Vorwurf des verdeckten Alltagsrassismus gefallen lassen muss.

Alexandra Marinina heißt eigentlich Maria Alexejewa. Sie wurde 1957 in der moldawischen Hauptstadt Lwow in eine Juristenfamilie geboren. 1971 zog die Familie nach Moskau um. Sei 1992 schreibt sie Krimis, und 1998 räumte sie gänzlich ihren Schreibtisch im Innenministerium. Seitdem erschienen sechs ihrer Bücher in deutscher Sprache im Fischer Taschenbuch Verlag, in dieses Jahr „Widrige Umstände. Anastasijas sechster Fall“ und „Mit tödlichen Folgen. Anastasijas siebter Fall“.

Spätestens Anfang 2004 kann sich die Fangemeinde mit einem weiteren Schmöker auf der Krimi-Couch lümmeln:, und „Im Antlitz des Todes. Anastasijas achter Fall“. Dort ist die Kamenskaja plötzlich wieder ledig. In der Welt des Kriminals ist eben Vieles möglich. Selbst die Uhren lassen sich zurückdrehen.

Alexandra Marinina auf der Frankfurter Buchmesse und weitere Lesungen: siehe Autorenlesungen und Veranstaltungskalender (isla/.RUFO)

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Ein alter US-Straßenkreuzer in Havanna? Weit gefehlt: Hier handelt es sich um eine piccobello restaurierte sowjetische Tschaika-Limousine (GAZ 13) in St. Petersburg. (Topfoto: Deeg/.rufo)

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