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Generalstaatsanwalt Juri Tschaika legte Präsident Wladimir Putin heute die Ergebnisse der Ermittlungen im Mordfall Politkowskaja dar (Foto: newsru.com). |
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Dienstag, 28.08.2007
Staatsanwalt Tschaika: Mordfall Politkowskaja aufgeklärtMoskau. Zehn Monate dauerten die Ermittlungen im Fall Politkowskaja. Jetzt erklärte die Staatsanwaltschaft, Auftraggeber und Vollstrecker des Mords zu kennen. Geheimdienstler und Polizisten sind verstrickt.
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Wir haben ernste Fortschritte bei der Aufklärung des Mords an der Journalistin Anna Politkowskaja erzielt, erklärte der Russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika heute gegenüber der Presse. Bis zum heutigen Tag wurden zehn Personen im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit verhaftet. In allernächster Zeit wird diesen Personen die Anklage in diesem schweren Verbrechen vorgelegt, so Tschaika.
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Mittäter in Geheimdienst und Innenministerium
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Unter den Verhafteten seien leider auch ein amtierender und ein ehemaliger Mitarbeiter des Russischen Innenministeriums und ein Mitarbeiter des Russischen Inlandsgeheimdiensts FSB. Die Beamten gehörten zu einer kriminellen Organisation und hätten Planer und Täter des Politkowskaja-Mords vor allem mit Informationen versorgt.
Die Tat selbst sei von einer Moskauer Kriminellen-Organisation ausgeführt worden, die von einem aus Tschetschenien stammenden Mann geleitet werde und auf Auftragsmorde in Russland, der Ukraine und Lettland spezialisiert sei.
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Auch die eigentlichen Drahtzieher seien den Ermittlern bekannt, so Tschaika. Sie sollen sich alle im Ausland aufhalten.
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Beresowski verdächtig?
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Namen nannte Tschaika nicht. Aber alles, was er auf seiner Pressekonferenz sagte, lenkte den Veracht auf den im Londoner Exil lebenden Millionär und Geschäftsmann Boris Beresowski. Die Hintermänner des Mordes, so Tschaika, wollten die Situation in Russland destabilisieren, eine Krise herbeiführen, Druck aus dem Ausland hervorrufen und einen Machtwechsel herbeiführen. Eben dies sind erklärte Strategie und Ziele Beresowskis, wie er sie in den vergangenen Monaten wiederholt in Interviews und eigenen Beiträgen in vor allem britischen Medien formuliert hat - unter anderen in den Zeitungen The Guardian und The Sunday Times.
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Erst am Sonntag hatte der Exilrusse Beresowski das Regime Putin zum wiederholten Male in einem Beitrag in einer britischen Zeitung hart kritisiert und offen zum Umsturz der amtierenden Regierung aufgerufen. Die zeitliche Nähe der Veröffentlichung in der Sunday Times und der Erklärung der Staatsanwaltschaft am folgenden Tag ist sehr überraschend.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Politkowskaja und Klebnikov?
Tschaika blieb bei seinen Verdächtigungen in Richtung Beresowski sehr allgemein. Seine Verdächtigungen versuchte er mit zwei Details zu untermauern. Der nicht namentlich genannte Organisator des Mordes sei mit Politkowskaja bekannt gewesen und habe sich auch mit ihr getroffen, sagte Tschaika. Außerdem habe man Belege dafür gefunden, dass dieselbe Moskauer Gruppierung, die mit der Ausführung des Mords an der Journalistin Politkowskaja beauftragt wurde, auch den Chefredakteur von Forbes Russland, Paul Klebnikov (andere Schreibweise auch Chlebnikow) auf dem Gewissen habe.
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Der US-Bürger Klebnikov, der vor drei Jahren von Unbekannten auf offener Straße in Moskau erschossen wurde, hatte Mitte der 90iger Jahre mit einer Artikelserie und seinem Buch "Der Pate" die, wie er schrieb, kriminellen Machenschaften Beresowskis enthüllt und damit den Sturz und die Flucht Beresowskis eingeleitet.
Klebnikov hatte außerdem in einem zweiten Buch mit dem Titel Gespräche mit einem Barbaren" das Porträt des tschetschenischen Mafia-Bosses Nuchajew gezeichnet, der seinerzeit zum Beresowski-Umfeld gehörte.
Klebnikov lag mit diesen Veröffentlichungen eher auf einer Linie mit dem Kreml, der Beresowski ebenfalls kriminelle Machenschaften und die finanzielle Unterstützung von verbrecherischen tschetschenischen Strukturen vorwarf.
Generalstaatsanwalt Tschaika beließ es bei der Pressekonferenz allerdings bei Andeutungen einer Verbindung der Auftragskiller zu Beresowski. Stichhaltige Beweise für diese Verbindung konnte er nicht liefern. Westliche und russische Kommentatoren warfen ihm deshalb bezüglich Beresowski Desinformation vor.
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Totale Überwachung von morgens bis abends
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Anna Politkowskaja soll ihrem Mörder mindestens zweimal in ihrem Treppenhaus begegnet sein (Foto: newsru.com). |
Unterdesseen melden sich auch die Kollegen der ermordeten Journalistin Politkowskaja zu Wort. Sie zeichnen das Szenario ihrer Ermordung in einem Artikel auf der Website der Nowaja Gaseta nach. Laut ihren Recherchen erhielten Mittelsmänner den Auftrag für den Mord im Frühjahr/Sommer 2006. Die Überwachung soll dann Anfang September aufgenommen worden sein. Bei der Rechreche der Adresse müsse der Geheimdienst behilflich gewesen sein, denn Politkowskaja war gerade erst auf die Lesnaja Straße im Zentrum Moskaus umgezogen.
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Die ständige Überwachung ihres späteren Opfers muss den Mördern Ende August/Anfang September leicht gefallen sein, so die Redakteure der Nowaja Gaseta in ihrer Analyse. Damals habe Politkowskaja ihre erkrankte Mutter pflegen müssen. Ihr Tagesablauf sei deshalb sehr regelmäßig gewesen: Morgens habe sie den Hund ausgeführt, dann habe sie eingekauf und anschließend sei sie zu ihrer Mutter aufgebrochen. Am Nachmittag habe sie ihren Hund erneut ausgeführt und gegen Abend sei sie noch einmal ins Krankenhaus zu ihrer Mutter gefahren, Tag für Tag derselbe Rhythmus.
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Täter und Opfer sind sich begegnet
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Der beauftragte Killer habe diese Regelmäßigkeit des Tagesablaufs genutzt, um das Verbrechen im Detail zu planen. Er habe sogar mindestens zweimal gemeinsam mit Politkowskaja deren Haus auf der Lesnaja Straße betreten um sich das Gesicht und die Bewegungen des Opfers im Treppenhaus einzuprägen. Mindestens ein solcher Besuch des Killers wurde von der Video-Überwachung von Politkkowskajas Wohnhaus aufgezeichnet.
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Gegenüber ausländischen Medien erklärte der Chefredakteur der Nowaja Gaseta heute, dass die Ermittler die richtigen Männer verhaftet hätten. Allerdings handele es sich nur um einige wenige Köpfe einer großen verbrecherischen Organisation, deren Verzweigungen in den Inlandsgeheimdienst FSB und die verschiedenen Russischen Ministerien reichten. Bis zur endgültigen Aufklärung des Verbrechens werde noch einige Zeit ins Land gehen.
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Beginn der Reflexion
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Wie schwer Russland international noch am düsteren Image der Sowjetunion trägt, wurde bei der Berichterstattung über den Fall in westlichen Medien im vergangenen Jahr deutlich. Auch wenn es kein Kommentator wagte, dem Russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich die Verantwortung für den Mord an der Journalistin zuzuschreiben, so gingen die gedruckten Meinungen in den letzten Monaten doch sehr weit: Der Kreml, so die häufig anzutreffende, wenig sachliche und undifferenzierte Wortwahl, schaffe in Russland ein Klima der Angst, in dem das gewaltsame Vorgehen gegen Journalisten geduldet sei.
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Die ersten Erfolge bei der Aufklärung des Politkowskaja-Mordes, die auch von der Redaktion der Journalistin als stichhaltig anerkannt wurden, zeigen jetzt, dass die russische Realität nur fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion viel komplizierter ist und viele westliche Journalisten vermutlich zu schnell und leichtfertig geurteilt haben.
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Sollte der Russische Generalstaatsanwalt Tschaika in den folgenden Wochen mit Fakten untermauern können, was er heute auf einer Pressekonferenz erklärte, dann beginnt für viele westliche Kommentatoren hoffentlich die selbstkritische Reflexion.
(cj/gim/.rufo/Moskau)
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