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Eine Hand des Minin-Poscharski-Denkmals greift nach einem Kreml-Stern (Foto: .rufo) |
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Freitag, 08.10.2004
Putin, die Medien, Klischees und kleine IrrtümerVon Gisbert Mrozek, Moskau. Gestern debattierten Europarlamentarier über Tschetschenien. Und Putin hatte Geburtstag. Wir habens unseren Lesern verschwiegen. Auch die russischen Medien haben es verheimlicht. Dies könnte fast als besonders perfide Form des Personenkultes und der Pressezensur gewertet werden. Wäre da nicht die durchaus liberale „Nesawissimaja Gaseta“ gewesen, die berichtete, zu Ehren Putins gäbe das Mariinski-Theater in Petersburg die Glinka-Oper „Ein Leben für den Zaren.“
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Tatsächlich stand das Stück schon lange auf dem Spielplan. Und Putin wurde auch nicht im Mariinski erwartet. Der Zusammenhang zwischen Putin-Geburtstag und Oper wäre niemandem aufgefallen, wenn da nicht die aufmerksamen Kollegen der „Nesawissimaja Gaseta“ gewesen wären, die keine Gelegenheit ausser Acht lassen, den putativen Personenkult um Putin zu geisseln. Egal, ob es ihn gibt oder nicht. Generalprophylaktisch sozusagen.
Verwirrung, die die deutschen Medien erfasst hat
Das alles wäre eigentlich kaum ein müdes Lächeln wert, wenn es nicht mit einer ähnlichen Erscheinung journalistischer Verwirrung zusammenfallen würde, die leider fast alle deutschen Medien erfasst hat.
Da schrieb doch zufällig ebenfalls zu Putins Geburtstag der Militärkommentator Pawel Felgengauer in der geachteten „Nowaja Gaseta“ in einem Kommentar zum Beslaner Geiseldrama, Putin habe sich beileibe nicht zufällig „massiv gegen eine öffentliche und parlamentarische Untersuchung des Geiseldramas ausgesprochen“.
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Anschliessend beschreibt Felgengauer, dass die Schule in Beslan von Kampfhubschraubern und Panzern zusammengeschossen wurde. Wofür es bisher wenig Belege gibt. Was dort in Beslan wirklich passierte, ist ein grosses Thema. Mir geht es hier darum, dass sich Putin angeblich „massiv gegen eine öffentliche und parlamentarische Untersuchung des Geiseldramas ausgesprochen hat“.
Es gilt in fast allen deutschen Medien als ausgemachte Sache, dass Putin gegen einen Untersuchungsauschuss ist natürlich um die eigenen Sünden zu verbergen. Es ist ja auch nicht ausgeschlossen, dass er das auch ist. Klammheimlich. Aber gesagt hat er das genaue Gegenteil von dem, was in deutschen Zeitungen zu lesen war.
Gesagt hat Putin, er sei nicht für eine parlamentarische Untersuchung, weil sie ineffektiv sei und zu einer Polit-Show geraten könne. Er werde sie aber nicht behindern.
Daraus machte dann die sonst doch in der Moskau-Berichterstattung sehr sorgsame DPA die Überschrift: „Putin spricht sich gegen parlamentarische Untersuchung aus“.
Den Irrtum bemerkte niemand. Denn er entsprach genau dem, was der deutsche Redakteur, Kommentator und Leser auch erwartet. Putin hat was zu verbergen. Das mag so sein, aber gesagt hat er eben etwas ganz anderes als das, was in deutschen Medien kommentiert wurde.
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Sinn und Zweck von Russland-Berichterstattung sollte eigentlich nicht Selbstbestätigung, sondern Wahrheitsfindung sein
Der Irrtum fiel auch noch nicht einmal auf, als der parlamentarische Untersuchungsausschuss dann eingerichtet wurde. Putin sei jetzt eben vor öffentlichem Druck zurückgewichen, hiess es zur Erklärung. Das passt zwar auch weder zur gängigen Russland-Totalitarismus-Theorie, noch entspricht es den Tatsachen. Aber aufgefallen ist der Widerspruch ebenfalls niemandem.
Ärgerlich daran ist, dass sich auf diese Weise ein Russlandbild zusammenschiebt, das zwar den Tatsachen nicht ganz entspricht, dafür aber die Überzeugung der deutschen Leser stärkt, dass sie und ihre Chefkommentatoren schon immer Recht hatten.
Wahrscheinlich wäre es der Wahrheitsfindung dienlich, wenn zumindest die zwei Russland-Klischees „Personenkult-um-Putin“ und „Er-ist-gegen-parlamentarischen-Untersuchungsauschuss“ aus dem Verkehr gezogen würden.
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