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Das Bild täuscht: Das Schwergewicht steht in dieser komplizierten Beziehung nicht links (Janukowitsch), sondern rechts (Medwedew) (Foto: gov.ua)
Das Bild täuscht: Das Schwergewicht steht in dieser komplizierten Beziehung nicht links (Janukowitsch), sondern rechts (Medwedew) (Foto: gov.ua)
Donnerstag, 22.09.2011

Ukraine-Russland: Janukowitsch-Besuch entscheidend

Moskau. Von wegen gute Nachbarschaft: Der Ton beim Samstag anstehenden Besuch von Viktor Janukowitsch in Russland dürfte ziemlich gereizt werden. Moskau will die Ukraine zu einer klaren Ost-Orientierung bewegen.

Gegenseitige russisch-ukrainische Besuche auf höchste Ebene gibt es seit der Amtsübernahme des damals pauschal als „Russland-freundlich“ geltenden ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch vor anderthalb Jahren recht häufig. Doch die Friede-Freude-Flottenbasis-Stimmung zwischen den beiden größten GUS-Republiken, in der beispielsweise die weitere Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim geregelt wurde, ist inzwischen völlig verflogen.

Bei Russland-Aktuell
• Russisch-ukrainisch-europäisches Gaskonsortium geplant (26.09.2011)

Vor Moskau einknicken - oder Liebesentzug


Kiew und Moskau beharken sich gegenseitig wie als wären sie im Kalten Krieg – und deshalb könnte der für Samstag angesetzte Besuch von Präsident Viktor Janukowitsch zu einem erneuten Wendepunkt in der komplizierten Beziehungsgeschichte werden: Entweder entscheidet sich Kiew zu einer wirtschaftlich engen Bindung an Russland und wird dafür mit dem existenzwichtigen günstigem Erdgas belohnt – oder Moskau wird seinen Nachbarn mit der Entziehung der letzten Privilegien und Handelsbeschränkungen abstrafen.

Putin und Medwedew drehen an den Daumenschrauben


Sowohl Präsident Dmitri Medwedew als auch Premier Wladimir Putin werden Janukowitsch auf der Präsidentenresidenz Sawidowo in die Zange nehmen. Dies geschieht gleich nach ihren Auftritten beim Parteitag von „Einiges Russland“ – wo möglicherweise endlich ein entscheidendes Wort über die Kandidatenfrage bei der Präsidentenwahl 2012 fällt.

Danach wäre dann die nächste Schicksalsfrage zu lösen: „Der Moment der Wahrheit ist gekommen. Er (Viktor Janukowitsch) muss seine Wahl treffen, zu wem er hält: Zu uns oder zu Europa. Weiterhin auf zwei Stühlen sitzen geht nicht mehr“, zitiert die Zeitung „Kommersant“ in ihrer heutigen Ausgabe einen Insider im Kreml-Apparat.

Putin und Medwedew werden dem ukrainischen Staats-Chef nahelegen, mit seinem Land der Zollunion beizutreten, die Russland gemeinsam mit Kasachstan und Weißrussland geschaffen hat. Andernfalls werde Russland sich um Ersatz für die bisherigen ukrainischen Importe umsehen, heißt es.

Absatzmarkt und günstiges Gas gegen Moskaus Dominanz


Entscheide sich Kiew für den Erhalt des russischen Absatzmarktes, kann es auch mit kollegialen Lösungen beim Gaspreis und dem weiteren Transitpipeline-Betrieb rechnen.

Bei Russland-Aktuell
• Ukraine möchte Pipeline South Stream an Land ziehen (16.09.2011)
• Kiew hofft auf Milliardenerlös bei Naftogas-Verkauf (08.09.2011)
• Ostseepipeline: Putin gibt Gas – für Deutschland (06.09.2011)
• Russland und Ukraine sind sich beim Gas nicht grün (12.08.2011)
• Russland-Ukraine: Schielt Janukowitsch Richtung NATO? (21.06.2011)
Allerdings bedeutet dies auch, dass damit die lange Zeit zwischen West und Ost lavierende – und auch im Innern ähnlich gespaltene – Ukraine definitiv in die machtpolitische Einfluss-Sphäre Russlands geraten würde.

Die Ukraine möchte von Russland in jedem Fall deutlich günstigere Bedingungen für Gaslieferungen erhalten, als sie noch von der (inzwischen wegen eines umstrittenen Prozesses inhaftierten) Premierministerin Julia Timoschenko ausgehandelt wurden.

Kiew möchte Europäer an Pipelines beteiligen


Auch will Kiew mehr Geld für die Durchleitung russischen Export-Gases durch sein Pipelinenetz – und bietet Moskau im Gegenzug an, die bisher als „nationales Gut“ eisern verteidigten Rohrleitungen in ein dreiseitiges Joint-Venture unter Beteiligung der westlichen Abnehmer zu überführen.

Doch diese Lösung ist gar nicht nach dem Geschmack der Putin-Leute: Nach mehreren Gas-Konflikten mit den westlichen "Brudernationen" hat sich in Moskau die Überzeugung durchgesetzt, dass man überhaupt keine störenden dritten Parteien an den strategisch wichtigen Rohrleitungen mehr dulden will.

Mit der anstehenden Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline North Stream und der – dank der Minsker Staatspleite erfolgten – Übernahme der weißrussischen Leitungen hat die Ukraine in diesem Poker inzwischen auch nur noch einen Trumpf mit Verfallsdatum in der Hand.

Auch muss sich Janukowitsch klar sein, dass das selbst tief in der Krise steckende EU-Europa gegenwärtig nicht das geringste Interesse hat, eine von Moskau mit einem wirtschaftlichen Bannfluch belegte Ukraine aufzufangen.

Ukraine hofft auf Milde in Moskau


Den Kiewer Politikern bleibt deshalb eigentlich nur, vor dem Gipfel auf Deeskalation und angemessene Demut zu setzen: „Wir werden uns mit Sicherheit einigen. Ich denke, wir werden einen Kompromiss suchen. Alle werden doch verstehen, dass die Zugeständnisse beidseitig sein müssen“, so der ukrainischen Premierminister Nikolai Asarow.

Der harte Moskauer Kurs gegen Kiew findet aber auch in Russland nicht nur Freunde – selbst unter Anhängern der russischen Großmacht-Ideologie: Sie fürchten um die junge „strategische Partnerschaft“ mit der nach der Janukowitsch-Wahl schon so Russland-nahen Ukraine.

Brandbrief: Gaspreis-Schacher gefährdet Moskaus Machtposition


In einem offenen Brief an Präsident Medwedew warnten einige ehemalige hochrangige Kader aus Militär, Geheimdienst und Polizei davor, dass der von ökonomischen Streitereien um den Gaspreis angeheizte Konflikt letztlich zu einer „Spaltung der ostslawischen orthodoxen Zivilisation“ führen könnte – die Russlands Gegner nur umso lieber vertiefen würden. „Die USA haben schon mehrfach versucht, zwischen der Ukraine und Russland kriegerische Auseinandersetzungen zu provozieren“, schreiben sie.

Der aktuelle „Propaganda-Krieg“ zwischen den beiden Ländern habe schon dazu geführt, dass Russland unter den russisch-sprachigen Bewohnern der Ukraine an Achtung verloren habe.



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Paulsen-Consult 22.09.2011 - 22:48

Komplizierte Trennungs-Psychologie

Das ukrainisch-russische Verhältnis ist eine komplizierte Mischung von Beziehungsstörungen, die nach einer langjährigen zerrütteten Ehe auftreten. Die Unabhängigkeit der Ukraine war dabei nicht das Ende, sondern der Anfang der Ehe und Trennung zugleich. Davor war ja angeblich alles ein einziges Land. Grenzüberschreitungen waren keine Grenzüberschreitungen, weil insbesondere von russischer Seite die Ukraine nur als Teil Russlands betrachtet wurde. Fast könnte man sagen, dass die Ehe mit der Trennung offensichtlich wurde, weil zu diesem Zeitpunkt Russland Unterhaltszahlungen in Form von billigem Gas aufnahm. Jeder, der russische Männer kennt, weiss, dass dies eine absolute Besonderheit ist. Ein deutliches Zeichen, dass die Russen ihre ukrainische Frau zurückhaben wollen. Russische Männer zahlen nach der Scheidung so gut wie nie. So ähnlich mögen es jetzt Putin und Medwedew sehen. Entweder die ukrainische Ehefrau kommt zurück ins gemeinsame Bett, oder der Hahn wird zugedreht und dann soll sie sehen, wo sie bleibt. Schließlich arbeitet man mit South-Stream ja schon an der Umgehung oder auch Austrocknung der Ukraine im Gasgeschäft. Diese Politik im russischen Macho-Stil führte mit Justschenko zum Gaskrieg und jetzt mit Janukowitsch zur BoFrost-Diplomatie. Diese ukrainischen Präsidenten sind schließlich Männer, die sich nicht dominieren lassen wollen. Timoschenko war da schon gefälliger, sitzt jetzt aber ein. Ganz zu unrecht übrigens, weil sie in einer Situation, die massiv gegen die Ukraine lief, das Land vor Schlimmerem bewahrt hat, wenn auch der Gaspreis kräftig nach oben ging.
Wie ein geschiedener Ehemann erhebt auch Russland immer noch Anspruch auf die Ex und kann dabei äußerst gemein werden. Insbesondere soll verhindert werden, dass die Ukraine einen Neuen findet, was mit dem EU-Assoziierungsabkommen durchaus möglich wäre. Deshalb wird in diesem Rosenkrieg nach guter Sitte erpresst und gedroht, aber eben nicht mehr geliebt. Dies ist ebenfalls beste Macho-Psychologie. Machos können nämlich nicht lieben, sie können nur hassen, was sie nicht besitzen dürfen. Die unfreundlichen und äußerst respektlosen Beschimpfungen, mit denen schon Tschernomyrdin in Kiew die Beziehungen vergiftet hat, werden jetzt einfach auf eine höhere Ebene gehoben und dürften hinter verschlossenen Türen recht grob ausfallen. Janukowitsch, der bereits von verschiedenen Gegenständen angegriffen wurde, unter anderem von einem Ehrenkranz, sollte nun lernen, fliegenden Tellern und Tassen auszuweichen. Der Kreml ist nämlich nicht gut auf ihn zu sprechen. Wir können alle nur hoffen, dass Putin und Medwedew über diese Trennung nicht in eine Alkoholkrise rutschen. Denn dann wäre das russisch-ukrainische Ehedrama perfekt und jede denkbare Entgleisung möglich. Andererseits auch nichts besonderes. Denn das spielt sich täglich millionenfach sowohl unter russischen, als auch unter ukrainischen Dächern ab.


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