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Samstag, 11.12.2010
Doku 2: Rede Frank Walter Steinmeiers in JekaterinburgJekaterinburg. Fortsetzung der Dokumentation der Redes des Bundestagsfraktionsvorsitzenden der SPD, Frank-Walter Steinmeier in Jekaterinburg am 10.12.2010.
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Die Kritik an der Vision einer Modernisierungspartnerschaft ist mittlerweile verstummt. Aber nicht nur das. Ich erlebe einen rasanten Wechsel der Perspektiven. Das vor kurzem noch Verworfene wird auch für die Kritiker attraktiv. Gerade erst hat die Europäische Union die Idee übernommen. Auch der diese Woche zu Ende gegangene EU-Russland-Gipfel hat die Modernisierungs-partnerschaft als das Fundament der heutigen Beziehungen zwischen der EU und Russland charakterisiert.
Es scheint, als wäre der Geist der Konfrontation, das Denken des Kalten Krieges, das im Umfeld des Georgien-Konflikts noch einmal mächtig aufflackerte, endgültig besiegt. Überall sehen wir ermutigende Signale: Die USA und Russland begegnen sich mit ausgestreckter Hand, das Verhältnis Russlands zu seinen westlichen Nachbarn hat sich deutlich verbessert.
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Was mit der Entspannungspolitik Ende der 60er Jahre begonnen hat und wofür gerade Sozialdemokraten in Deutschland gestritten haben, die langsame Überwindung der Blockkonfrontation, ist offenbar endgültig im Denken und Handeln der politischen Entscheidungsträger angekommen. Und das ist zunächst einmal ein Grund zur Freude! In Deutschland erinnern wir uns gerade in vielen Gedenkveranstaltungen und Feierstunden an diese Zeit: Vor 40 Jahren, im August 1970, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, haben Deutschland und Russland den sogenannten Moskauer Vertrag unterzeichnet.
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Das war der erfolgreiche Versuch, auch unter den Bedingungen einer harten Blockkonfrontation Bewegung und Annäherung zu ermöglichen. Wenige Wochen später wurde ein ähnliches Abkommen zwischen Deutschland und Polen geschlossen. Der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos hat Geschichte gemacht, hat neues politisches Denken möglich gemacht. Diese Woche haben wir daran in vielen Veranstaltungen erinnert.
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Die sogenannte Entspannungspolitik hat damals heftige Debatten und wütenden Widerstand bei konservativen Hardlinern in Deutschland provoziert. Aber im Rückblick ist klar: Selten hat sich eine politische Vision so glänzend durchgesetzt. Ohne die Entspannungspolitik sähe unser Kontinent anders aus. Dass wir uns heute offen, respektvoll und auf Augenhöhe begegnen können, ist auch das Ergebnis dieser Politik.
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Ich freue mich besonders, dass es jetzt auch im Verhältnis zwischen unseren beiden Hauptvertragspartner von damals, zwischen Russland und Polen, neue Bewegung gibt. Historiker reden ohne Tabus über die Vergangenheit, Politiker über gemeinsame Projekte. Der Besuch von Präsident Medwedew in Warschau in dieser Woche ist ein großer Schritt nach vorn. All das war vor einem Jahr noch undenkbar. Hier zeigt sich, was mit gutem Willen möglich ist.
Ich erinnere mich an viele lange Gespräche mit meinen Amtskollegen Sergej Lawrow> und Radek Sikorski. Ich habe oft versucht, Verständnis füreinander zu wecken und direkten Austausch zu ermöglichen. Und beiden habe ich immer wieder gesagt: Gerade das deutsch-russische und das deutsch-polnische Verhältnis sind der Beweis, dass auch nach unendlich viel Verletzungen und Leid, nach Millionen von Toten, ein Neuanfang möglich ist.
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Als ein ermutigendes Signal werte ich auch den NATO-Gipfel in Lissabon vor drei Wochen. Er hat ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen Russland und dem Bündnis aufgeschlagen. In Zukunft geht es nicht mehr um Sicherheit gegeneinander, sondern um Sicherheit miteinander. Es gibt ein neues Klima, viel Bereitschaft zu Dialog und Kooperation, auch in so schwierigen sicherheitspolitischen Fragen wie der Raketenabwehr.
Außenminister Lawrow hat kürzlich in einem bemerkenswerten Artikel sehr zutreffend gesagt: Das Erbe des Kalten Krieges überwinden wir nicht allein und nicht in erster Linie mit wohlmeinenden Statements, sondern durch praktische Schritte. Das ist auch meine Überzeugung! Wie er bin ich der Meinung: So schön es ist, dass jeder jetzt die Modernisierungspartnerschaft beschwört - auf die Praxis, auf konkrete Fortschritte kommt es an! Vieles hat sich in den letzten Jahren zum Positiven verändert. Aber das ist kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen.
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Ich saß als Außenminister in der ersten Reihe, als Präsident Medwedew vor zweieinhalb Jahren in Berlin seinen Vorschlag eines gemeinsamen europäischen Sicherheitsraumes unterbreitete. Das war ein klares Bekenntnis zu gemeinsamer Zukunft und gemeinsamer Verantwortung in einem Europa des 21. Jahrhunderts. Es ist ermutigend, dass Ministerpräsident Putin bei seinem Besuch in Deutschland vor wenigen Tagen die Idee einer Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok entwickelt hat. Das ist zweifellos ein gewaltiges Projekt. Aber nicht gewaltiger, als das Projekt vom Ende des Ost-West-Konflikts gewesen ist, dass die Staatsmänner 1975 in Helsinki vereinbart haben. Und nicht weniger herausfordernd, als weltweite Abrüstung von Atomwaffen und der Aufbau gemeinsamer Abwehrsysteme gegen neuartige Bedrohungen, wie sie von Präsident Medwedew und Präsident Obama jetzt verabredet worden sind.
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Ob gemeinsamer europäischer Sicherheitsraum oder Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok: Die Größe eines Projekts und die Entfernung zum Ziel darf uns nicht entmutigen. Ich verstehe die Vorschläge von Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin deshalb nicht nur als höchst anspruchsvolle Zukunftsvision, sondern auch als Weckruf, als Aufforderung: Wer nicht bereit ist, weit nach vorn zu denken, der verschläft die Chancen der Gegenwart.
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Wir brauchen solche Visionen, um den Menschen eine Orientierung zu geben, wo wir unsere Zukunft sehen, wohin wir gemeinsam wollen. Deshalb plädiere ich dafür, Wladimir Putin beim Wort zu nehmen und sich auf seine Vision einzulassen. Ich bin der festen Überzeugung: Die Idee der Modernisierungspartnerschaft und das Ziel einer Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok ergänzen einander. Das eine ist der Weg, das andere das Ziel.
Ich habe als Politiker natürlich eine Ahnung davon, wie hart und steinig der Weg dahin ist. Aber gerade hier, in Jekaterinburg, bekommt man auch ein Gefühl für die neuen Perspektiven, die er uns eröffnet. In einem solchen Wirtschaftsraum wäre Jekaterinburg nicht mehr nur eine boomende Stadt an der europäischen Peripherie, an der Grenze zu Asien, sondern läge mitten im geographischen Zentrum. So ungewohnt diese Idee für uns Westeuropäer ist, ich glaube, wir sollten sie offen aufnehmen und gemeinsam überlegen, wie wir die richtigen Weichen stellen, politisch, wirtschaftlich und rechtlich.
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Die Verwirklichung einer solchen Vision ist zugleich ein anspruchsvolles Modernisierungsprojekt für Russland selbst. In einem vollendeten und funktionierenden Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon wird sich Russland selbst grundlegend verändert haben. In welche Richtung diese Veränderung gehen muss, hat Präsident Medwedew in seinen auch in Deutschland viel beachteten Rede an die Nation im vergangenen Jahr und am 30. November diesen Jahres beschrieben.
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Teil 1 der Dokumentation Steinmeier-Rede "deutsch-russische Modernisierungs-partnerschaft" am 10.12.2010 in Jekaterinburg
Teil 3 der Dokumentation Steinmeier-Rede "deutsch-russische Modernisierungs-partnerschaft" am 10.12.2010 in Jekaterinburg
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