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Samstag, 11.12.2010
Doku 3: Rede Frank Walter Steinmeiers in JekaterinburgJekaterinburg. "Ihr Präsident hat das Bild eines modernen Russland gezeichnet, das eine hoch effiziente, innovative und weltweit wettbewerbsfähige Wirtschaft hat. Ein modernes Russland mit einem offenen und transparenten System, das seinen Bürgern Rechte und Freiheiten gewährt, das ein effizientes Rechtswesen und ein leistungsfähiges Sozial- und Gesundheitssystem hat.
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Und Präsident Medwedew hat sehr überzeugend erklärt, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt.
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Denn was ist in unserer Zeit der Schlüssel zum Erfolg? Es ist die Fähigkeit, Neues aufzunehmen und produktiv zu verarbeiten, alte Strukturen zu überwinden und mit den rasanten technologischen, politischen, wirtschaftlichen Entwicklungen mitzuhalten. Dazu sind offene Gesellschaften am besten in der Lage.
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Offenheit und Pluralität sind keine Gefahr, sondern unabdingbare Voraussetzung für Kreativität und Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft.
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Der eigentliche Motor der Modernisierung ist das zeigt auch der Blick in die Geschichte stets eine lebendige Zivilgesellschaft, ein freies Unternehmertum und eine Öffentlichkeit, in der unterschiedliche Meinungen frei miteinander ringen.
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Der Weg zu einem Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon führt über einige Zwischenetappen. Dazu gehört als nächstes der WTO-Beitritt Russlands, dazu gehört die Neuverhandlung eines Kooperationsabkommens zwischen Russland und der EU und, aufbauend darauf, die Verwirklichung einer Freihandelszone zwischen der EU und Russland.
Assoziierungsabkommen hat die EU bisher nur mit Staaten abgeschlossen, die sich auf den Weg in die Mitgliedschaft begeben haben. Warum nicht auch hier neue Wege gehen? Mittelfristig sollten die EU und Russland ihre geographische Nachbarschaft, ihre gemeinsamen Interessen in einem Assoziierungsvertrag verfestigen.
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Das geschieht nicht von heute auf morgen. Aber deshalb sollten und müssen wir nicht warten, bis die großen Verhandlungsrunden abgeschlossen und die entsprechenden Verträge ratifiziert sind.
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Vielmehr sollten wir versuchen, schon jetzt neue Formen der Kooperation zu finden und die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten bis zum Äußersten auszuschöpfen. Im Gesundheitswesen tun wir es mit wachsendem Erfolg, an vielen Orten in Russland: In der regionalen Gesundheitsplanung, im Krankenhausmanagement, beim Aufbau dezentraler Dialysestrukturen, in der Medizintechnik und vielen anderen Bereichen mehr.
Und was zwischen deutschen und russischen Unternehmen hier in Jekaterinburg und Umgebung in ganz anderen Bereichen in der Metallverarbeitung und veredelung, im Bereich der Energieeffizienz - geschieht, ist ein gutes Beispiel dafür, was zwischen unseren Ländern bereits möglich ist.
Es gibt etwas, von besonderer Dringlichkeit ist. Deshalb möchte ich mich heute besonders an Sie, die jungen Leute, die Studentinnen und Studenten hier in diesem Saal, wenden: Die Zukunft unserer Partnerschaft liegt in Ihren Händen! Und deshalb kommt es vor allem anderen auf mehr Austausch zwischen Ihnen und jungen Deutschen und Europäern an!
Mit Nachdruck plädiere ich dafür, die nächste Generation der wunderbaren EU-Austausch- und Bildungsprogramme Comenius für Schulbildung, Erasmus für Hochschulen, Leonardo da Vinci für berufliche Bildung und Grundtvig für die Erwachsenenbildung - von Anfang an für eine russische Beteiligung zu öffnen.
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Das wäre ein Riesenschritt, um die jungen Menschen von Ost und West zueinander zu bringen.
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Aber wir können auch jetzt schon etwas tun, in beide Richtungen, nach Russland und Deutschland. Wir haben viele russische Studenten in Deutschland; 2009 waren es etwa 12.000. In umgekehrter Richtung funktioniert dieser Austausch noch nicht gleichermaßen gut. Nur rund 1.000 Studierende haben über ein Stipendium des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes im vergangenen Jahr an russischen Hochschulen studiert. Das verstehe ich als Auftrag, mehr zu tun.
Warum setzen wir uns nicht das Ziel, die Zahl der deutschen Studierenden in Russland binnen drei Jahren zu verdoppeln? Und warum machen wir deutsche Universitäten nicht noch attraktiver auch für russische Studierende? Beides sollte möglich sein.
Nachholbedarf haben wir auch im Bereich der beruflichen Bildung. Es gibt zwar eine deutsch-russische Arbeitsgruppe zur beruflichen Bildung, die Ergebnisse aber bleiben weit hinter den Erwartungen und Möglichkeiten zurück. Es gibt nur wenig grenzüberschreitenden Austausch, weder auf Ebene der Auszubildenden, noch im Bereich der Ausbilder.
Die Öffnung der europäischen Bildungsprogramme wird da vielleicht mittelfristig helfen. Aber wir sollten dafür sorgen, dass wir entsprechende Maßnahmen und Programme auch bilateral ins Leben rufen und mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausstatten.
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Und ich halte es für erforderlich und würde es sehr begrüßen, wenn sich die Wirtschaft an der Finanzierung solcher Programme beteiligen würde. Ein ansehnliches Angebot von Betriebspraktika in deutschen Unternehmen, in denen Jugendliche ihre Erfahrungen vervollständigen können, gehört für mich dazu!
Aber natürlich braucht das auch einen soliden, öffentlich finanzierten Grundstock. Ich befürworte deshalb die Umwandlung der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch in ein deutsch-russisches Jugendwerk mit dem ausdrücklichen Auftrag und der dafür notwendigen finanziellen Ausstattung, besonders auch den beruflichen Austausch zu fördern.
Ich freue mich, dass gerade diese Universität großes Interesse bekundet hat, gerade auch den beruflichen Austausch aktiv voranzutreiben.
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Ein weiterer Punkt ist die Zukunft der Forschungsförderung in Russland und der EU. Sie muss Gegenstand der neuen Verhandlungen des allgemeinen Kooperationsabkommens sein, aber wir wissen doch alle, wie schwierig, kompliziert und langwierig diese Verhandlungen sein werden.
Wir sollten deshalb ernsthaft darüber nachdenken, ob wir in gemeinsamem Interesse die Forschungsförderung und den Wissenschaftsaustausch aus diesen Verhandlungen herauslösen und mit dem Ziel einer vollen Assoziierung Russlands an das EU-Forschungsrahmenprogramm versuchen, zu einer schnelleren Lösung zu kommen. Es wäre ein Vorteil für beide Seiten, die Assoziierung Russland an das EU-Forschungsprogramm aus diesen Verhandlungen herauszulösen und in dieser speziellen Frage zu einer schnelleren Lösung zu kommen.
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Schließlich ein Thema, das vielen hier auf den Nägeln brennt. Kaum ein Gespräch mit Geschäftsleuten, aber auch mit Studenten, wo es nicht Beschwerden über unsere Visapraxis gibt. Ich habe mich vor meiner Abreise noch einmal intensiv mit der Frage beschäftigt. Und ich glaube, wir müssen und wir können etwas tun.
Die Schengen-Regeln gelten, ihre Änderung erfordern einen Konsens aller Partner. Hier gibt es Verhandlungen auf europäischer Ebene, die hoffentlich bald zu Erleichterungen führen. Unabhängig davon geht es um die Art und Weise, wie die bestehenden Schengen-Regeln von den einzelnen EU-Staaten gehandhabt werden.
Hier gibt es schon jetzt Spielräume, die wir nutzen können. Sie in der haben Ural-Region das Glück, ein eigenes deutsches Generalkonsulat zu haben. Aber selbst hier stoßen viele auf Probleme, die nicht auf Schengen-Regeln, sondern auf ihrer Anwendung durch nationale Behörden beruhen.
Und wie kann man es den vielen Geschäftsleuten, Wissenschaftlern und Studenten in Russland erleichtern, ein deutsches Visum zu erhalten, die weit entfernt vom nächsten deutschen Konsulat leben?
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In beiden Bereichen besteht dringender Handlungsbedarf. Wie können wir lästige Bürokratie vermeiden? Auf Vorlage welcher überflüssigen Dokumente können wir verzichten? Wie können wir zu einer vermehrten Ausgabe von Langzeit-Visa kommen?
Gemeinsam mit meiner Fraktion werde ich im Parlament die Initiative ergreifen und die Regierung auffordern, die bestehende Visapraxis zu überprüfen und auf einen Stand zu bringen, der unseren immer enger werdenden bilateralen Beziehungen entspricht.
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Ich habe am Anfang meiner Rede an Georg Wilhelm de Gennin erinnert. Es gibt eine andere gebürtige Deutsche, die mit Jekaterinburg eng verbunden ist. Ich spreche von der Großfürstin Elisabeth Romanova, der Schwester der Zarin, geboren als Elisabeth von Hessen und ermordet nicht weit von hier, einen Tag nach der Zarenfamilie, am 18. Juli 1918.
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Ich weiß, dass sie überall in Russland hoch verehrt wird. Ihr Lebenslauf ist beeindruckend. Sie hat nach der Ermordung ihres Mannes all ihre Habe verkauft, ist Nonne geworden und hat sich in Moskau um die Ärmsten der Armen gekümmert. Sie tat das aus christlicher Menschenliebe und aus sozialer Verantwortung.
Russland erlebte in jenen Jahren einen Industrialisierungsschub sondergleichen. Aber die soziale Frage blieb ungelöst. Ihr Schicksal erinnert uns daran, dass Modernisierung und Fortschritt mehr sind als Wachstum und neue Technologien. Ich bin der festen Überzeugung, dass deshalb auch eine Modernisierungspartnerschaft nur dann erfolgreich sein wird, wenn sie auch die soziale und gesellschaftliche Dimension umfasst.
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Die Menschen in Russland müssen spüren, dass es wirklich nach vorn geht: durch bessere medizinische Versorgung, eine bessere Infrastruktur, einen Staat, der für die Bürger da ist. Nur so lassen sich Enttäuschungen und Rückschläge vermeiden, nur so bleibt die innere Einheit des Landes bewahrt.
Zum europäischen Erbe, zu dem wir uns gemeinsam bekennen, gehört neben der Idee der Freiheit auch die Idee der sozialen Gerechtigkeit. Der gemeinsame Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok muss deshalb ein Raum der Freiheit und des sozialen Ausgleichs sein.
Eine große Aufgabe? Ja! Eine unmögliche? Nein! Wir haben die Zukunft in der Hand. Sie hier, die Studenten von Jekaterinburg, jeder einzelne von Ihnen, kann ein Stück dieser Zukunft gestalten. Machen wir uns auf den Weg!
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Teil 1 der Dokumentation Steinmeier-Rede "deutsch-russische Modernisierungs-partnerschaft" am 10.12.2010 in Jekaterinburg
Teil 2 der Dokumentation Steinmeier-Rede "deutsch-russische Modernisierungs-partnerschaft" am 10.12.2010 in Jekaterinburg
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