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04-11-2001 Lothar Deeg |
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Deutsche „Edelweißpiraten“ in russischer Kulisse
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Von Lothar Deeg (St. Petersburg) Im feuchtkalten Bau einer ehemaligen Militärakademie der russischen Raketenstreitkräfte macht eine Handvoll deutscher Jugendlicher heimlich Schiessübungen: Mit Revolvern zielen sie in einem Kellerverschlag auf Blechdosen. Doch das ohrenbetäubende Geknalle bringt die am Eingang dösenden russischen Wachsoldaten nicht aus der Ruhe. Genauso wenig wie die Gestapo-Männer, die einige Tage zuvor hier ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten: Der leerstehende Kasernenbau ist einer der Drehorte in St. Petersburg, wo der deutsche Regisseur Niko von Glasow-Brücher zur Zeit seinen halbdokumentarischen Spielfilm über eine wenig bekannte Widerstandgruppe im Dritten Reich dreht: die Edelweißpiraten.
Die vier Kölner Gymnasiasten Johannes Schaller, Dominik Bromma, Simon Taal und Florian Wilken haben für zweieinhalb Monate schulfrei bekommen, um mutigen Altersgenossen aus der Nazizeit ein Denkmal zu setzen. Sie spielen die Rollen von Bartholomäus, Günther, Peter und Franz – vier 16-Jährige, die 1944 in Köln-Ehrenfeld für ihren Kampf gegen die Nazi-Diktatur von der Gestapo öffentlich gehenkt wurden. Das Quartett gehörte zu den „Edelweißpiraten“, einer nicht organisierten Jugendbewegung in den zerbombten deutschen Städten. Als andere stolz ihr Partei- oder ihr Hitlerjugend-Abzeichen trugen, steckten sie sich die kleine, zähe Alpenblume als Erkennungszeichen ans Revers. Allein bei der Kölner Gestapo waren 3000 Edelweißpiraten aktenkundig – junge Leute, die sich dem brutalen Machtapparat der Nazis verweigerten; noch halbe Kinder, die Juden, Deserteure oder geflohene Zwangsarbeiter versteckten und auf ihre eigene Art Widerstand leisteten. Böse-Buben-Streiche und Prügeleien mit der HJ waren der Anfang. Doch angeführt von dem älteren KZ-Flüchtling Hans Steinbrück (gespielt von dem „Ärzte“-Sänger Bela B. Felsenheimer) gehen diese vier Jungs endgültig in den Untergrund. Durch den Diebstahl einer Fuhre Butter verschaffen sie sich Geld und damit Waffen – und beschliessen, das Kölner Gestapo-Hauptquartier in die Luft zu sprengen.
„Edelweißpiraten waren die Punks der Nazizeit“ – mit dieser Formulierung hatte Regisseur Niko von Glasow-Brücher in den Kölner Schulen Laien-Schauspieler für sein 5 Millionen Mark teures Filmprojekt angeworben. Sieben Jahre lang hat er mit seiner Frau, der Drehbuchautorin Kiki von Glasow, an dem Skript gearbeitet. Dabei flossen viele Gespräche mit ehemaligen Edelweißpiraten und Angehörigen ein, auch Gestapo-Protokolle wurden ausgewertet. Heraus kam ein Film, der den Edelweißpiraten die bis heute – zumindest in Deutschland - versagte offizielle Anerkennung als Widerstandskämpfer ersetzen soll. Im Gegensatz zu der weithin bekannten „Weißen Rose“ der Geschwister Scholl ist bei den Taten der exekutierten Edelweisspiraten zwischen heroischem Widerstand und draufgängerischer Kriminalität nicht exakt zu trennen.
Niko von Glasow-Brücher will deshalb einen nüchternen, „antifaschistischen“ Film drehen, ohne Pathos und Helden-Mythos, aber umso geeigneter, damit sich die Zuschauer in die Haut der durchaus wankelmütigen einzelnen Figuren versetzen können. Das Dritte Reich wird hier nicht so aufgemotzt erscheinen wie in Hollywood-Produktionen oder den Spionage- und Kriegsepen des sowjetischen Kinos. „Bei uns fällt die Kamera nicht auf die Nazi-Ästhetik herein“, meint der Regisseur, „denn ehrlich gesagt, ich finde Leni Riefenstahl grauenvoll“. Gedreht wird deshalb mit digitalen Handkameras, immer dicht im Geschehen, gnadenlos bis zum Schluss. Die kleinen Kameras hecheln mit bei der Flucht durch die Ruinen, sie steigen hinab in den Folterkeller und hinauf aufs Schaffott. „Wir ersparen dem Zuschauer nichts“, verspricht von Glasow-Brücher.
„Edelweißpiraten“ ist eine internationale Produktion: Die Schauspieler kommen aus Deutschland, Belgien und Russland, das Kamera- und Licht-Team ist aus Polen, als Co-Produzent ist neben dem WDR und von Glasow-Brüchers Kölner Firma „Palladio Film“ die holländische „First Floor Features“ dabei. Gedreht wird noch bis Anfang Dezember in St. Petersburg – alles, vom ersten bis zum letzten Bild.
Es ist aber nicht die Parade-Seite der Zarenmetropole mit ihren prächtigen Palästen und breiten Prospekten, die dafür den Ausschlag gab: „Hier kann ich das zerstörte Köln des Jahres 1944 optimal inszenieren“, so von Glasow-Brücher. Der Originalschauplatz kam als „überrenoviert“ nicht mehr in Frage. Auch andere osteuropäische Städte waren für die Pläne des Regisseurs, der zwei Jahre in Lodz studiert hat, entweder wie Riga „zu muffig“ oder „schon zu sehr saniert“ wie Warschau. „In Köln dominierte damals eine architektonische Mischung aus französischem Empire und deutscher Gründerzeit, das ist St. Petersburg sehr ähnlich.“ Den Ausschlag gaben aber eher die reichlich vorhandenen Industrie-Ruinen und leerstehenden Gebäude wie die riesige Militärschule, in der das Filmteam sowohl den Geheim-Keller der Edelweißpiraten wie auch die Gestapo-Zentrale einrichten konnte. „Kaputte Objekte zu finden, ist leider nicht so schwer hier“, meint Natascha Smirnowa, deren Petersburger Studio „Globus Film“ die Aufnahmen in Russland organisiert. Dennoch bleibt für die russischen Filmleute viel Deko-und Ingenieurs-Arbeit, denn die „zu modernen Ruinen“ müssen auf alt und deutsch getrimmt werden. Und einstürzen dürfen sie vor der Zeit auch nicht.
Obwohl ihn viele westliche Kino-Kollegen vor einer Produktion in Russland warnten, ist Niko von Glasow-Brücher mit seiner Wahl mehr als zufrieden. Das hat zum einen materielle Gründe: Die Dreharbeiten in Russland kommen - trotz der Reise- und Transportkosten - dreimal billiger als in Deutschland. Und egal ob bei Schauspielern, Requisiten, Pyrotechnik oder Dekorationen - das professionelle Niveau in der an Theatern und Filmstudios reichen Stadt stimme trotzdem. „Von den Russen habe ich jedenfalls noch keinen gefeuert, anders als bei den Deutschen“, meint der Regissseur bissig. Die Sprachbarriere ist auch kein nennenswertes Hindernis: „Am Set“ wird parallel russisch, deutsch, englisch und polnisch geredet – und man versteht sich, zur Not auch ohne Dolmetscher.
„Was haben wir uns am Anfang über Mentalitätsunterschiede gesorgt“, pflichtet die lokale Produktionsleiterin bei, „aber das ist Quatsch: Beim Film gibt es nur Profis und Nicht-Profis“. Aber trotz Thermo-Unterwäsche und reichlich Tee, Kaffee und Heizgeräten an den Drehorten konnte Natascha Smirnowa im klammen Petersburger Herbst doch einen letzten Unterschied zwischen deutschen und russischen Kino-Leuten feststellen: „Die Deutschen frieren mehr.“
(ld/.rufo) |
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