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20-01-2005 Neue Reportagen |
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Sotschi - ein Wintermärchen
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Von André Ballin, Sotschi. Die Sonne scheint, die Wellen branden rauschend ans Ufer und im Hintergrund schimmern die weißen Gebirgshöhen des Kaukasus. Dennoch ist der Schwarzmeerkurort Sotschi im Januar weitgehend frei von Touristen. Bei etwa zehn Grad ist es zwar frühlingshaft mild, aber nicht sommerlich warm. Die Touristen ziehts nach Ägypten, die Einheimischen versuchen, den Winter zu überstehen.
Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht: Im Sommer kann sich Sotschi vor Touristen kaum retten, die Taxifahrer verlangen tolldreiste Preise und die Stadtbewohner vermieten Zimmer oder ganze Wohnungen zu Höchstgeboten. Bis zu 2.000 Rubel (54 Euro) bringe ihre Zweiraumwohnung im August pro Nacht ein, erzählt eine Rentnerin, die auch im Januar am Bahnhof auf Zugreisende wartet. Das ist mehr als ihre spärliche Monatsrente von 1.200 Rubel - etwas über 30 Euro.
Nach der Saison folgt der Winterschlaf
Doch im Winter kann die Frau, die möchte, dass man sie Baba Manja (Oma Manja) nennt, von solchen Preisen nur träumen. Kaum jemand verirrt sich in dieser Zeit in den „mondänen“ Badeort. „Nur ab und zu steigen einige verirrte Urlauber um diese Zeit aus dem Zug. Und mit denen muss ich handeln.“ „Gestern habe ich meine Wohung für 200 Rubel vermietet“, fällt ihr die Nachbarin ins Wort. Das sei zwar wenig, aber immer noch besser als gar nichts.
Auch die Taxifahrer haben Flaute. Sie stehen gelangweilt vor ihren Wagen oder sonnen sich auf einer Bank in der Nähe ihrer Fahrzeuge. Sie sind immer noch bereit, einem Fremden das Fell über die Ohren zu ziehen, aber „leider“ gibt’s die hier viel zu selten und die Einheimischen sind harte Verhandlungspartner, steigen notfalls auf Bus oder Marschrutka – ein Massentaxi – um.
Leben von den Ersparnissen des Sommers
Im Winter leben die Einheimischen von den Ersparnissen des Sommers. Auf dem Markt treiben sie untereinander Handel. Sotschi liegt im äußersten Winkel Russlands, dann kommt nur noch die abchasische Grenze. „Es ist wie eine Sackgasse, hier kommt im Winter niemand her. Daher handeln wir untereinander,“ erzählt Asja, die auf dem Markt Lederwaren verkauft. „Im Winter verbrauchen wir das, was wir im Sommer einnehmen,“ erläutert sie.
Diejenigen, die ein Gewerbe haben oder vermieten können, sind dabei noch gut dran. Sie können sich im Sommer für den kümmerlichen „Winterspeck“ sorgen. Die anderen haben das Nachsehen. Es gibt zwar keine Renterdemonstrationen wegen der Abschaffung der sozialen Vergünstigungen, doch auch hier wird die Diskussion sehr aufmerksam und mit Bitternis verfolgt.
Und dann gibt es auch in Sotschi die ganz Armen - Bettler, meist alte Frauen, die mit aufgehaltenen Händen am Straßenrand sitzen und um ein paar Rubel für Brot bitten. Spätestens dann wird dem aufmerksamen Besucher klar, dass das Wort „mondän“ für Sotschi wohl doch nicht die treffende Charakterisierung ist.
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