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Dieses Bild der Hände eines Krokodil-Konsumenten gehört zu der harmloseren Sorte... (Foto: russlav.ru)
Dieses Bild der Hände eines Krokodil-Konsumenten gehört zu der harmloseren Sorte... (Foto: russlav.ru)
Mittwoch, 13.07.2011

Krokodil - Heroin der Armen ist ein Stoff für Albträume

Thomas Fasbender, Moskau. Diese Bilder gehen tiefer als unter die Haut: Freigelegte, vom Phosphor zerfressene Knochen, von der Nekrose zerstörte Muskeln, von Gangränen tiefrot durchfurchtes Gewebe - ekelerregende Aufnahmen.

Wie Opfer verbotener Chemiewaffen liegen die Betroffenen auf schmutzigen Laken und strecken ihre vernichteten Gliedmaßen der Kamera entgegen. Aber Senfgas, Lewisit oder die Dutzende anderen Kampfstoffe raffen dahin, während Krokodil die Menschen buchstäblich bei lebendigem Leibe verfaulen lässt.

Krokodil. Vor knapp zehn Jahren ist der Stoff in Sibirien aufgetaucht. Seitdem verbreitet er sich wie eine Seuche unter den etwa zwei Millionen russischen Junkies, hat längst den europäischen Teil des Landes erreicht und sich als Heroin der Armen fest etabliert.

Ein Jahr bis zum Exitus


Über ein Viertel aller Abhängigen konsumiert Krokodil regelmäßig, geschätzte zehn Prozent ausschließlich. Das sind die Totgeweihten. In der spezifisch russischen Variante, do-it-yourself auf dem heimischen Herd gemischt und destilliert, lässt Krokodil ihnen kaum länger als ein Jahr bis zum Exitus.

Wer eben kann, spritzt das erlösende Gift nur, bis er neues Geld für das dreimal teurere Diamorphin – Heroin – aufgetrieben hat. Aber seit der Nachschub aus Afghanistan wirksamer bekämpft wird, ist der Preis gestiegen. Und in die Provinz gelangt die Droge nur in unreiner Form, während alle Zutaten für das Konkurrenzprodukt Krokodil in jeder Kleinstadt legal verkäuflich sind.

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Verschreibungsfrei über die Theke


Chemische Basis ist das Opiat Codein, das in Gestalt von Kopfschmerz- und Hustenmitteln in jeder Apotheke verschreibungsfrei über die Theke geht. Unter Beigabe von Reinigungspulver, Feuerzeugbenzin, Jod, Salzsäure und rotem Phosphor kochen die jungen Junkies daraus ihren mörderischen Stoff. Mit Asche wird geklärt, dann direkt die Spritze gesetzt.

Chemische Kenntnisse sind nicht erforderlich. Es ist nicht einmal das Desomorphin, das den Körper am Ende verfaulen und zugrunde gehen lässt, sondern die Begleitstoffe: Phosphor, der von Streichholzschachteln gerieben wird, Schwermetalle im verunreinigten Benzin, der hohe Jodgehalt.

Das Land hat keine jungen Menschen zu verschenken


Der Wirkstoff selbst ist ein Schmerzmittel, das 1932 als Alternative zu Morphium entwickelt wurde, um ein Mehrfaches wirksamer ist, aber wegen des extremen Suchtpotentials in den Schubladen verschwand. In Russland ist es als Geißel der nachwachsenden Generation wieder zum Leben erwacht.

Seit dem Afghanistan-Feldzug ist Heroin, sieht man vom Alkohol ab, das Betäubungsmittel der Wahl. Ein Fünftel der Weltproduktion wird hier konsumiert. In keinem anderen Land ist die Zahl der Abhängigen höher, und die 30.000 russischen Herointoten im Jahr machen ein Drittel der weltweiten Opfer aus.

Angesichts dieser Situation, und umso mehr in einem Land, das keine jungen Menschen zu verschenken hat, erstaunt die Gleichgültigkeit, mit der Regierung und Öffentlichkeit reagieren. Der oberste Drogenbeauftragte im Gesundheitsministerium wiegelt ab: bei 50.000 Krokodil-Konsumenten (die offizielle, deutlich zu niedrige Zahl) möge man doch auch an die 40 Millionen denken, denen Kodein Heil und Hilfe bringe.

Gesundheitsministerium unter Beschuss


Sein Ministerium steht hart in der Kritik. Wichtige Entscheidungsträger sollen eng mit den hochrentablen Apothekenketten verbandelt sein. Die Gewinnspanne bei kodeinhaltigen Medikamenten beträgt 25 Prozent; da wird auch mancher russische Beamte schwach. Zumal der legale Absatz der Medikamente sich parallel zum Siegeszug des Krokodils mehr als verdoppelt hat.

Wie so oft hierzulande steigt man ohne Mitgefühl über die Gefallenen und Verlierer hinweg – was sind sie schon wert. Und selbst schuld an ihrem Schicksal. Aber 30.000 fehlen, jedes Jahr, denn auch die Schwachen werden gebraucht.

Endlich Rezeptpflicht ab Juni 2012


Immerhin erging kürzlich der Beschluss, kodeinhaltige Medikamente ab Juni 2012 unter Rezeptpflicht zu stellen. Wobei der Chef-Narkologe hinzufügt, bis dahin müsse eine zügige Rezeptvergabe sichergestellt sein. Da sorgt sich ein Wohltäter ums tägliche Kodein.

Man fragt sich, wie die Menschen in Deutschland oder Österreich, wo der Stoff seit langem streng rezeptpflichtig ist, Kopfschmerz und Husten lindern. Und wie sie es schaffen, im Schnitt dabei noch zwanzig Jahre älter zu werden.


Die russische Übersetzung dieses Artikels ist hier >>>



Thomas Fasbender lebt seit 1992 in Moskau, ist Geschäftsführer der CHECKPOINT RUSSIA und mit regelmäßigen Kommentaren auf Russland-Aktuell präsent.





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