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20-12-2004 Neue Reportagen

Lettland: Museum wirft Besucher hinter Gitter

Wachsoldat im Gefängnis von Karosta (Foto: KGB-Archiv)Von Karsten Packeiser, Liepaja. Die zwanzig meist jungen Männer und Frauen halten die Hände auf dem Rücken und manche lächeln noch verlegen. „Verdammt!“ brüllt der kahl geschorene Uniformierte auf dem Hof vor dem roten Ziegelbau. „Habt Ihr Hühnerdreck im Kopf oder ein Gehirn?“ Im einstigen Marinegefängnis von Liepaja hat gerade eine neue Führung begonnen.

Seit einigen Jahren können sich Touristen dort verhaften und verhören lassen – und auf Wunsch sogar eine Nacht hinter Gittern verbringen.

Im Gänsemarsch marschieren die Besucher, Mitarbeiter einer internationalen Firma aus Riga, über das Gelände. Reden und Lachen ist verboten. Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit Strafen rechnen: 20 Liegestützen auf dem Exerzierplatz machen oder den Gefängnisflur schrubben. Am Eingangstor hatten alle Gäste eine Erklärung unterschrieben, dass sie die Spielregeln akzeptieren und nicht gegen die Behandlung meutern.

Manchen Besuchern wird bei der Führung Angst und Bange (Foto: KGB-Archiv) Authentische Behandlung für neun Euro

Zum Preis von umgerechnet etwa 9 Euro können Interessierte sogar in dem hundert Jahre Gemäuer übernachten, auf Wunsch entweder in einem Bett und mit offenen Zellentüren oder auf dem Fußboden, mit nächtlichem Verhör und authentischer Behandlung. Begegnungen mit dem Gefängnis-Geist, von dem alle Mitarbeiter schwören, dass es ihn wirklich gebe, sind gratis.

Zu kommunistischen Zeiten war Liepaja als wichtiger Stützpunkt der sowjetischen Ostseeflotte nicht nur für Besuche von Ausländern geschlossen, sondern selbst für Sowjetbürger eine verbotene Stadt. Der Stadtteil Karosta („Kriegshafen“) gehörte ganz der russischen Marine, ihn durften nicht einmal die Einwohner der drittgrößten Stadt Lettlands betreten. Seit dem Abzug der Russen drohte dem ehemaligen Flottenstützpunkt der Verfall.

Knast-Performance wird auf Anhieb zum Erfolg

Bei einer Tourismus-Messe im Jahr 2002 wurde die Idee geboren, den Teilnehmern außer einer herkömmlichen Stadtführung auch das einstige Marinegefängnis zu zeigen - und sie dabei für einige Zeit hinter Gitter zu sperren. Auf diese Weise sollten alle Besucher hautnah erleben, was es heißt, in einer sowjetischen Gefängniszelle zu landen. „Wir luden Schauspieler aus dem Stadttheater ein“, erinnert sich die Reisekauffrau Liiga Engelmane, die das Museums-Gefängnis heute leitet, „ich selbst spielte eine Krankenschwester“. Kurze Zeit nach der Knast-Peformance, die eigentlich eine einmalige Werbeaktion sein sollte, meldeten sich die ersten Reisebüros in Liepaja. Die Veranstalter wurden gebeten, für weitere Gruppen eine ausgefallene Gefängnisführung zu organisieren.

Selbst ehemalige Häftlinge berichten von Begegnungen mit dem Gefängnis-Geist (Foto: KGB-Archiv) Inzwischen hat die Stadt den Bau an Engelmanes Gefängnis-Truppe verpachtet, einem Verein zur Rettung von karosta mit der lettischen Abkürzung KGB. „Mit der Bedingung, dass alle Gewinne in die Renovierung des Gebäudes gesteckt werden“, sagt die Frau. Zuweilen beschweren sich Gäste über die schlechte Behandlung oder auch darüber, dass mit dem Leid der ehemaligen Häftlinge heute ein Geschäft gemacht werde. Dabei sei das eigentliche Ziel des Projekts, an die düsteren Kapitel der jüngeren Geschichte zu erinnern.

Die Armee ist ein Traum

Düstere Geschichten über das Gefängnis in Karosta gibt es viele. Nach der ersten russischen Revolution 1905 wurde das ursprüngliche Hospital für die Verwahrung aufrührerischer Matrosen umfunktioniert. Während der Nazi-Zeit wurden auf dem Hinterhof Gefangene erschossen und hinter den Gefängnismauern verscharrt. Zu Sowjetzeiten wurde hier zwar niemand mehr hingerichtet, doch die Bedingungen blieben unmenschlich. Anstelle von Betten gab es nur zusammengenagelte Bretter. Die Gefangenen litten unter chronischem Schlafentzug. „Die Armee ist ein Traum“, ritzte ein Sowjetsoldat in die schwarz gestrichenen Wände, „aber gebe Gott, dass dieser Traum nie war wird.“ Noch bis 1997 nutzte später die lettische Marine das Gefängnis weiter.

Ein Teil der Reisegruppe steht mittlerweile mit dem Gesicht zur Wand im kalten, düsteren Gefängnisgang. Einzeln werden die Arrestanten zu einer kurzen Gesundheitsuntersuchung in das Krankenzimmer geschubst und anschließend mit Häftlingsnummer fotografiert. „Was machen Sie hier im sozialistischen Lettland? “, sagt einer der Soldaten in Englisch zu einem Dänen, der noch nicht an der Reihe ist. „Was wollten Sie auf dem Militärgelände?“

Im Internet:
• Webseite der Touristeninformation von Liepaja mit Kontaktdaten des Gefängnismuseums

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Beim anschließenden Verhör geht dann alles ganz schnell. „Für dein Verhalten wirst du dem Gesetz entsprechend büßen“, zischt der Uniformierte, dessen Gesicht kaum zu erkennen ist. Denn eine Schreibtischlampe leuchtet den Arrestanten direkt in die Augen. Ein Stempel knallt auf die Häftlingsakte, mehrere Jahre Straflager erwarten die Verurteilten. „Was bin ich froh, dass ich wieder frei bin“, seufzt kurz darauf der Däne bei einem Glas dünnen Tee und einem Teller Kohlsuppe.

(epd)

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