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Holger Kaminski betreut deutsche Lehrer in Russland. (Foto: Bail/.rufo) |
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Freitag, 17.12.2010
Bildungssysteme: Deutsche jammern auf hohem NiveauSt. Petersburg. Holger Kaminski koordiniert seit 2009 für die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen die Arbeit von deutschen Lehrern in St. Petersburg. Martina Bail sprach mit ihm über das russische Bildungssystem.
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Martina Bail: Wie wird man eigentlich Koordinator für die Zentrale für Auslandsschulwesen (ZfA) und welche Aufgaben sind vor Ort zu bewältigen?
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Holger Kaminski: Der Koordinator der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) berät Schulen in seinem Gebiet, das heißt für mich Nordwestrussland. Dieses Gebiet umschließt außer Petersburg vor allem Kaliningrad im Westen, Syktywkar im Osten, Petrosawodsk und Nowgorod.
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Konkret betreuen wir Deutschlehrer an Schulen mit vertieftem Deutschunterricht, deren Schüler somit die Möglichkeit haben, das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (DSD) abzulegen.
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Das DSD bietet den Schülern die Möglichkeit, zum Studium an deutschen Hochschulen zugelassen zu werden, ohne einen zusätzlichen Sprachnachweis erbringen zu müssen. Wir sind hier natürlich daran interessiert, künftige Studenten aus Russland mit Deutschland vertraut zu machen, also "Deutschlandversteher" zu fördern.
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Das geschieht auch durch andere Elemente des DSD-Programms, das unter anderem Studienreisen und Stipendien einschließt.
Ich selbst bin Lehrer für Deutsch und Russisch aus dem Land Brandenburg und dort auch in der Lehrerfortbildung tätig. In den 90er Jahren war ich schon einmal für die ZfA im Ausland, in Polen. Ob frisch gebackener oder erfahrener Lehrer weltweit hält die ZfA viele interessante Einsatzplätze bereit.
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Martina Bail: Ich möchte mit Ihnen heute über das russische Bildungssystem sprechen. Was sind Ihrer Ansicht nach die frappierendsten Unterschiede des russischen Schulsystems im Vergleich zum deutschen?
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Holger Kaminski: Der wohl augenscheinlichste Unterschied liegt in der Steuerung des Bildungssystems: Wo in Deutschland Bildung Ländersache ist, hält in Russland der Zentralstaat die Zügel in der Hand. In den einzelnen Regionen kann es jedoch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen geben.
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Der zweite Unterschied liegt in der Dauer der Schulbildung, da die russischen Schüler seit der Schulreform von 1988 nur elf Jahre lang zur Schule gehen. Aktuell führt man hier im Kontrast zu Deutschland, wo die Schulzeit in den meisten Bundesländern jetzt von 13 auf zwölf Jahre reduziert wurde, eine Debatte über die Verlängerung der Schulzeit um ein Jahr. Das Programm ist nämlich unheimlich gedrängt.
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Das Niveau der mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse ist bei russischen Schülern hoch, auch im Vergleich zu Deutschland.
Jedoch ist die Wissensvermittlung sehr Input-orientiert: Lehrinhalte werden noch oft frontal und autoritätsbezogen präsentiert. Das stellt für die russischen Schulabgänger, die ins deutsche Hochschulsystem starten wollen, eine ordentliche Herausforderung dar, da Output-orientiertes, individualitätsbezogenes Lernen hier nicht in dem Maße gegeben ist.
Aber was ist denn Ihr persönlicher Eindruck, da Sie ja selbst hier studieren?
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Martina Bail: Vor allem ist mir das junge Alter der meisten Studenten an meiner Fakultät aufgefallen. Die meisten steigen mit 17 Jahren ohne gap year in das Hochschulstudium ein und halten somit unter Umständen mit 20 ihren Bachelor in Händen. Bleibt da nicht das Erwachsenwerden, die Reife, auf der Strecke und ist man so jung bereit für den Einstieg ins Berufsleben?
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Holger Kaminski: Es gibt tatsächlich eine große Kontinuität im Bildungsweg, die Freiwilligendienste und gap years im Ausland völlig ausschließt. Alles was also für uns Deutsche zum Studentenleben dazugehört der Auszug von zu Hause, Unabhängigkeit, Freiheit ist hier nur bedingt gegeben.
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Eine ähnliche Debatte gibt es ja in Deutschland im Zuge der Umsetzung des Bologna-Prozesses: Ist die Umstellung auf den Bachelor nicht auch ein Schritt weg von der Selbstständigkeit eines deutschen Diplom- oder Magister-Studiums? Ist hier nicht auch ein relativer Zuwachs an Kontrolle vorhanden, der für trial and error zu wenig Raum lässt?
Ein stark reguliertes Modell ist hier wahrscheinlich sogar wegen des jungen Alters der Studenten nötig ein anderes Lehrmodell wäre vielleicht weniger erfolgreich.
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Martina Bail: Mein Eindruck ist auch, dass die Lehrmethoden an den Universitäten hier weniger akademisch ausgelegt sind als in Deutschland oder Frankreich. Die Bibliotheken scheinen schlecht ausgestattet und viele Studenten greifen für Hausarbeiten ausschließlich auf Internetquellen zurück.
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Holger Kaminski: Rekapitulieren und Referieren spielen im russischen Studiensystem eine große Rolle. Ein Wesensmerkmal des Studiums ist, dass ein akzeptierter und relativ scharf umgrenzter Kanon verinnerlicht wird.
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Ein weiterer Brennpunkt ist die chronische Unterfinanzierung vieler Bildungseinrichtungen. In Deutschland gibt es dieses Problem zwar auch, jedoch klagen wir oft auf hohem Niveau, wie man so schön sagt.
In Russland führen diese Budgetsorgen dazu, dass viele Studenten nicht das studieren, was sie wollen, sondern was sie sich finanziell leisten können. Manche Studiengänge wie Philologie sind staatssubventioniert, zu viele jedoch kostenpflichtig.
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Teil II des Geprächs folgt in der nächsten Woche.
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