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Stadtnachrichten    
Moskau     

15-12-2003 Moskau Stadt-Nachrichten

Wir haben Wenders verloren
Hans SteinbichlerMoskau. Am Sonntag ging das deutsche Filmfestival in Moskau zu Ende. Dieses Jahr präsentierte unter anderem Hans Steinbichler seinen ersten Spielfilm „Hierankl“ – ein Familiendrama, das auf einem einsamen Gehöft im Chiemgau spielt. Mit dem Regisseur sprach Stephanie Prochnow über Heimat, die Werte der jungen Generation und über den neuen deutschen Film.

russland-aktuell Sie starten ihre Karriere mit einem Film, den Sie bewusst als Heimatfilm bezeichnen. Hatten Sie nicht Befürchtungen, dass das ein bisschen angestaubt wirken könnte?

Steinbichler: Größte Befürchtungen. Heimatfilm ist ja ein schreckliches Unwort, insbesondere in Deutschland. Mir war natürlich wichtig, die Bezeichnung ‚Heimatfilm’ so in den Vordergrund zu stellen, um das Image ein bisschen zu entstauben. Ich glaube, dass dieser Film zumindest bewirkt, dass man Heimatfilme in Deutschland mit anderen Augen betrachten wird.

russland-aktuell Sie lassen ihre Figuren zweimal darauf hinweisen, dass sie sich in einem Heimatfilm befinden. Ist das eine zusätzliche ironische Brechung?

Steinbichler: Ich habe mich als Autor zweimal in dem Film zu Wort gemeldet. Ich glaube, das Heimatfilm ein so umstrittener Begriff ist, dass die Betonung von Heimatfilm sagen konnte: Leute schaut hin, es ist nicht das, was ihr erwartet, sondern etwas anderes. Ich habe diese Brechung einfach bewusst gewagt, weil’s mir wichtig war.

russland-aktuell Was bedeutet denn für Sie „Heimat“?

Steinbichler: Heimat ist wie eine mathematische Formel für mich: Landschaft und Familie. Ich wollte aus diesem Konstrukt eine Ableitung machen.

russland-aktuell Aber was Sie in ihrem Film gezeigt haben, sind eher die Überreste einer Familie.

Steinbichler: Ich glaube, wenn man auf etwas sieht, das zerstört ist, und es beschreibt, dann wünscht man sich natürlich, dass es anders ist. Insofern ist diese Destruktion der Familie mein Wunsch nach intakten Dingen. Ich glaube, umso krasser man das Negative beschreibt, umso stärker ist der Wunsch nach dem Positiven.


Hans Steinbichler diskutiert mit russischen Zuschauern russland-aktuell Mit dem Wunsch nach Familie und Zusammenhalt treffen Sie den Nerv der jungen Generation.

Steinbichler: Ich glaube, dass es in Deutschland im Augenblick eine Strömung gibt, die einen bestimmten Wertekanon wiederentdeckt. Da wir ja alle völlig desorientiert sind, ist in vielerlei Hinsicht gerade eben diese kleinste Zelle Familie und Heimat wieder etwas enorm Wichtiges.

russland-aktuell Sie kritisieren, das viele deutsche Filme unpolitisch sind – ihr Film ist aber auch nicht politisch.

Steinbichler: Ich finde, dass dieser Film politisch ist, weil er einen politischen Hintergrund hat. Es geht hier um die Abrechnung der Kinder der 68er Generation mit ihren Eltern. Insofern finde ich meinen Film politisch. Politisch heißt für mich nicht, dass der Film automatisch sozialkritisch ist oder man wissen muss, wie die Leute ihr Geld verdienen.

russland-aktuell Hier auf dem deutschen Filmfestival in Moskau laufen hauptsächlich Dramen und Tragödien – ist das bezeichnend für den aktuellen deutschen Film?

Steinbichler: Ich glaube es ist sehr aussagekräftig für den deutschen Film, weil wir so ein Jahrzehnt der Komödien und Spaßfilme hatten – das ist natürlich jetzt etwas einseitig gesehen. Aber ich glaube, dass diese Jahre, auf die wir zurückblicken seit „Männer“ eine Konsolidierungsphase für den deutschen Film waren. Wir haben keinen Fassbinder mehr. Wir haben Wenders verloren und andere interessante Regisseure wie Emerich und Peterson, die nach Amerika gegangen sind. Das heißt, wir hatten eigentlich nichts mehr zu bieten. Wir müssen halt jetzt wieder an die Inhalte gehen – Tom Tykwer hat es mit Sicherheit angefangen. Insofern stimmt die Filmauswahl hier auf dem Festival.

russland-aktuell Wie war das Moskauer Publikum?

Steinbichler: Ich war sehr beeindruckt von den Reaktionen. Bisher hatte ich noch nie so eine Intensität der Fragen. Das war etwas ganz Besonderes. Kluge Fragen, gefühlvolle Fragen, kritische Fragen. Also einfach ein wahnsinnig gutes Publikum.

© rUFO
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