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Immer mehr Autos quälen sich über Russlands veraltetes Fernstraßennetz (Foto: .rufo) |
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Mittwoch, 23.03.2005
Russische Regierung setzt auf MautstraßenVon André Ballin und Karsten Packeiser, Moskau. Das russische Fernstraßennetz befindet sich derzeit in einem miserablen Zustand. Eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Aufgrund der rasant steigenden Zahl registrierter Fahrzeuge, die Jahr für Jahr um zehn Prozent zunimmt, wird die Belastung des deutlich langsamer wachsenden Straßennetzes in Russland noch zunehmen.
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Selbst das russische Verkehrsministerium bezeichnet die Lage in einem Thesenpapier als „äußerst unzufriedenstellend“. Als Ausweg setzt die Regierung verstärkt auf den Bau von Maut-Straßen.
167 Kreisstädte ohne Straßenanschluss
Noch nie in der Geschichte konnte sich Russland eines guten Straßennetzes rühmen: „In Russland gibt es zwei Grundübel“, weiß der Volksmund, „Idioten und die Straßen“. Als Anfang der 90-er Jahre die Sowjetunion zerfiel und die Wirtschaftskrise fast alle großen Investitionsprojekte zum Erliegen brachte, verfügten 167 russische Kreisstädte noch nicht über eine Straßenverbindung mit der nächstgelegenen Gebietshauptstadt.
Landesweit gab es 250.000 Siedlungen und Landwirtschaftsbetriebe, die bestensfalls über Sandwege zu erreichen waren. Auf über 10 Milliarden Euro jährlich schätzen Verkehrsexperten den volkswirtschaftlichen Schaden des schlechten russischen Straßennetzes.
Das Regierungsprogramm „Autoverkehrswege 2002 -2010“ sieht nun vor, dass Straßennetz in Russland auf eine Länge von 611.100 km auszubauen. Dies enspräche 26.700 Kilometern neuer Straßen seit dem Jahr 2000. Die russische Straßenbaubehörde „Rosawtodor“ geht gleichzeitig davon aus, dass zum Funktionieren der russischen Volkswirtschaft ein Straßennetz von minimal 1,5 Millionen Kilometer Länge notwendig wäre.
Der Anteil der Fernverkehrsstraßen, die internationalen Standards entsprechen sollen, wird dem Plan zufolge von derzeit gerade einmal 39% bis 2010 auf 55% erhöht. Landstraßen bzw. Ortsstraßen sollen soweit erneuert werden, dass zumindest 30% bzw. 20% den Anforderungen entsprechen.
Kein Geld mehr für Straßenbau vorhanden
Aus dem föderalen Staatssäckel sollen im laufenden Jahr aber nur 29,6 Mrd. Rubel (800 Mio. Euro) in den Straßenbau fließen. Aus den regionalen Haushalten kommt noch einmal genauso viel. Eine Steuerreform der russischen Regierung beraubte die Straßenbauwirtschaft bereits im Jahr 2001 eines erheblichen Teils ihrer Einnahmen, die bis dahin zweckgebunden in einem föderalen Fonds gesammelt wurden. Dessen Auflösung und die Abschaffung der Pkw-Steuer führten zu radikalen Einbrüchen.
Wurden im Jahr 2000 noch 2,89 Prozent des russischen Bruttosozialproduktes für Straßenbaumaßnahmen ausgegeben, waren es drei Jahre später nur noch 1,5 Prozent. Mit den mautpflichtigen Fernstraßen hofft die Regierung nun, Privatinvestoren für den Bau neuer Trassen zu gewinnen und gleichzeitig Mittel bekommen, um bestehende veraltete und marode Straßen zu erneuern und zu modernisieren.
Das bekannteste Maut-Projekt ist derzeit die Route Moskau St. Petersburg, deren Bau im nächsten Jahr beginnen soll. Die Kosten der rund 650 Kilometer langen Strecke werden mit 180,7 Mrd. Rubel (knapp fünf Mrd. Euro) veranschlagt und soll aus dem Staatsbudget, den Haushalten der beteiligten Verwaltungsregionen (Moskau, Twer, Nowgorod und Leningrad) bezahlt werden. Außerdem ist die Cofinanzierung durch Privatinvestoren vorgesehen.
Die Autobahn soll für Geschwindigkeiten bis zu 150 km/h ausgebaut werden. Bei der Ausfahrt aus Moskau wird sie zehnspurig sein, im Moskauer und Leningrader Gebiet achtspurig und in den weniger dicht bevölkerten Gebieten Twer und Nowgorod sechsspurig. Bislang führt die wichtigste Fernstraße Russlands noch immer mitten durch kleinere und größere Ortschaften und ist streckenweise in einem sehr schlechten Zustand. Letztendlich soll die neue Strecke die alte Trasse, auf der sich heute etwa 22,5 Mio. Menschen jährlich bewegen, zu 80 Prozent entlasten.
Ein Rubel je Kilometer
Wieviel die Fahrt zwischen den beiden größten Metropolen der Russischen Föderation letztendlich kosten soll, steht noch nicht fest. Der Stellvertretende Verkehrsminister Alexander Mischarin nennt auf Pressekonferenzen einen Richtwert von einem Rubel (drei Euro-Cent) pro Kilometer pro Pkw. „Transitfahrzeuge und Lkw bezahlen selbstverständlich mehr“, sagt der Beamte auf eine entsprechende Nachfrage, weigerte sich aber konkrete Zahlen zu nennen.
Das russische Verkehrsministerium hat neben der Maut-Trasse Moskau St. Petersburg Helsinki noch fünf weitere vorrangige Projekte ausgewählt. Dabei handelt es sich erstens um den Fertigbau einer Fernverkehrsstraße von Sibirien nach Russlands fernem Osten von Omsk über Nowosibirsk, Krasnojarsk, Irkutsk bis hin nach Ulan-Ude, Tschita, Chabarowsk und Wladiwostok. Teile der offiziell im vergangenen Jahr eröffneten Magistrale zwischen Tschita und Chabarowsk sind bis heute noch nicht asphaltiert.
Bis vor einigen Jahren gab es überhaupt keine Straßenverbindung zwischen der russischen Pazifikregion und dem Rest des Landes. Dies hatte regionale Politiker dort bereits zu der absurd anmutenden Forderung verleitet, zum Linksverkehr überzugehen. In dem vom Rest Russlands abgeschnittenen Landesteil sind inzwischen fast ausschließlich aus Japan importierte Fahrzeuge mit dem Steuer auf der rechten Seite im Einsatz.
Anbindung an Kaukasus und den Nahen Osten
Das zweite Projekt der Moskauer Prioritätenliste ist der Bau eines Autobahnrings um St. Petersburg, der die Hafenstadt vom Transitverkehr entlasten soll. Im Süden Russlands wird an der Verbindung Sotschi Krasnaja Poljana gebaut. Die prestigeträchtigen Kurorte ziehen vor allem Touristen an. Allerdings bedeutet die Nähe zur abchasischen/georgischen Grenze auch Potenzial als Transitstrecke, vorausgesetzt, die politische Lage in der von der georgischen Zentralregierung abgespaltenen Teilregion entspannt sich wieder.
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Im europäischen Teil Russlands wird außerdem die Straßenverbindung zwischen Moskau und den Millionenstädten Woronesch und Rostow-am-Don ausgebaut. Über den Meerhafen Rostow ist die Anbindung Südrusslands an die Türkei und den Nahen Osten gesichert. Ein ebenso aufwendiges Projekt ist der Bau eines Ringes um die russische Hauptstadt. Dieser Ring soll 480 km lang sein und Teile der Fernstraßen M10 „Rossia“ und M1 „Belarus“ integrieren.
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Einrichtung gebührenpflichtiger Straßen gibt es teilweise bereits seit 1992. Außer durch fehlende Gelder werden neue Großprojekte bis heute jedoch noch durch eine Reihe juristischer Hürden behindert. So gibt es noch immer keine rechtliche Klarheit darüber, ob der Boden unter föderalen Fernverkehrsstraßen den jeweiligen Verwaltungsgebieten oder dem föderalen Zentrum gehört.
Nicht ausgefeilt sind auch die Gesetze, die Enteignungen von Privatland für staatliche Straßenbauprojekte ermöglichen. Vor allem rund um die großen Städte haben Spekulanten längst die interessantesten Flächen aufgekauft. Eine Regierungskommission zur Entwicklung des russischen Verkehrswesens ist mit der Regelung dieser Probleme offenbar überfordert: „Die Arbeit der Kommission ist schlecht organisiert“, musste sich der verantwortliche Verkehrsminister Igor Lewitin öffentlich von seinem Premierminister Michail Fradkow anhören.
(ab/kp/.rufo)
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Containerumschlag im Hafen von St. Petersburg: Auf diese Weise importiert Russland vor allem - exportiert werden vorrangig Rohstoffe wie Öl, Gas, Metall und Holz.(Topfoto:Deeg/.rufo)
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