Michail Chodorkowski (links) fastet aus Mitgefühl für seinen Mitangeklagten Platon Lebedew (foto: newsru)
Mittwoch, 24.08.2005
Chodorkowski im trockenen Hungerstreik
St. Petersburg. Russlands prominentester Häftling verweigert im Gefängnis jegliches Essen und Trinken. Michail Chodorkowski protestiert damit gegen eine Karzer-Strafe für seinen Schicksalsgenossen Platon Lebedew.
Platon Lebedjew, ehemals Chef der Menatep-Holding, war gemeinsam mit Michail Chodorkowski zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Letzte Woche steckte ihn die Leitung des Moskauer Gefängnisses „Matrosenstille“ in eine auch auf russisch „Karzer“ genannte spartanische Mini-Zelle.
Dabei handelt es sich um eine nur drei Quadratmeter große Arrestzelle, in der es außer einer Latrine und einer von außen betätigten, nur zwischen 22 Uhr und 6 Uhr heruntergeklappten Liege keine Möbel und auch kein Fenster gibt. Der magenkranke Lebedew hat zwar trotzdem die Möglichkeit, sich zum gemeinsamen Aktenstudium mit seinen Anwälten zu treffen, bekommt aber nach deren Aussage das in dieser Zeit ausgeteilte Essen nicht. Angeblich kassierte er die Strafe, weil er aus Krankheitsgründen den täglichen Hofgang verweigert. Die Anstaltsleitung begründete hingegen die Haftverschärfung mit ungebührlichen Benehmen des Häftlings gegenüber dem Personal.
Wie lange fastet Chodorkowski schon?
Auch im Falle von Chodorkowskis Hungerstreik gibt es widersprüchliche Darstellungen - je nach dem, von welcher Seite der Zellentür sie kommen. Chodorkowskis Anwälte erklärten am Dienstag Abend, er hätte aus Solidarität mit Lebedew insgeheim schon vor einigen Tagen mit der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme aufgehört.
Juri Kalinin, Direktor der Föderalen Strafvollzugsbehörde sagte, der Leitung des Gefängnisses sei nichts über einen Hungerstreik Chodorkowskis bekannt. Möglicherweise hatte bis dahin nur niemand etwas bemerkt: Wie der oberste Gefängnisaufseher eingestand, sei es das gute Recht jedes Gefangenen, zu fasten. Sollte sich jedoch der Gesundheitszustand eines Hungerstreikenden deutlich verschlechtern, könne er im Gefängnishospital über eine Magensonde zwangsernährt werden. Ein entsprechender Erlass des Justizministeriums legt sogar die Nahrungszusammensetzung für derartige Fälle fest.
Chodorkowski auch hinter Gittern politisch hochaktiv
In einer von Chodorkowski verfassten Erklärung bezeichnete er die Karzer-Strafe für Lebedew als Rache des Staates für die von ihm selbst in letzter Zeit veröffentlichten Artikel und Interviews. Chodorkowski hatte zuletzt in einem Aufsatz von der Notwendigkeit einer Machtübernahme einer Koalition aus liberalen Demokraten und Kommunisten ausgesprochen. Zudem zeichnet sich eine Kandidatur Chodorkowskis bei Nachwahlen um ein Duma-Mandat ab. Solange das Urteil gegen ihn wegen der momentan laufenden Berufung nicht rechtskräftig ist, kann er sich theoretisch auch aus dem Gefängnis um einen Abgeordnetenplatz bewerben.
Wohl als Warnschuss waren auch die Haftbedingungen für den einst reichsten Russen vor einiger Zeit verschärft worden: Angeblich wegen Bauarbeiten wurde Chodorkowski aus seiner vergleichsweise komfortablen Viermann-Zelle mit Fernseher und Kühlschrank in eine allgemeine Zelle mit elf Häftlingen umquartiert. Da Lebedews Karzer-Strafe am Donnerstag endet, dürfte Chodorkowskis selbst auferlegte Solidaritäts-Diät damit auch enden. Viele Beobachter in Russland sehen darin ohnehin mehr einen Versuch des einstigen Oligarchen, sich nun trotz seines Verschwinden hinter den Gefängnismauern öffentlichkeitswirksam als ein zu jedem Opfer bereiter Oppositioneller zu präsentieren.
(ld/rufo)
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