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Lothar Bisky in Moskau - an den Quellen des Sozialismus ? (Foto: Packeiser/.rufo)
Lothar Bisky in Moskau - an den Quellen des Sozialismus ? (Foto: Packeiser/.rufo)
Montag, 21.11.2005

Bisky: Merkel, Russland und die böse Ost-Geschichte

Moskau. Lothar Bisky fordert engere Beziehungen zu Russland. Karsten Packeiser sprach mit dem Vorsitzenden der Linkspartei über Kanzlerin Merkel, Lenins Beerdigung, Orangen-Revolutionen und deutsch-russischen Kulturaustausch.

www.aktuell.RU: Herr Bisky, während des Wahlkampfes gab es Andeutungen, dass eine von Angela Merkel geführte Regierung die Beziehungen zu Russland revidieren könnte. Sehen die eine Wahrscheinlichkeit, dass sich das Verhältnis zu Moskau unter der Großen Koalition ändern wird?

Bisky: Ich hoffe, dass es weiter enge Beziehungen geben wird. Bei konservativen Regierungen stellt sich aber immer die Frage, ob sie ihren Abneigungen aus der Geschichte nachgeben und eine restriktivere Politik durchführen. Es war günstig, dass Schröder diese ideologischen Reflexe nicht wirksam werden ließ. Er hat sich tatsächlich Verdienste erworben, als er im Interesse beider Seiten die Beziehungen zu Russland und dann auch zu China weiterentwickelte.

Wärmestrom der Geschichte

www.aktuell.RU: Sind Russland und der Westen denn bis heute noch Rivalen oder ist die einstige Konfrontation endgültig passé?

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Bisky: Die Vergangenheit wurde zu einseitig festgelegt: Der Westen hat die gute Geschichte und der Osten die böse. So lange solche Einseitigkeiten bestehen, sind die Beziehungen zueinander unnormal. Heinrich Mann hat einmal vom Wärmestrom der Geschichte aus dem Osten gesprochen. Heute haben sich viele auf unscharfe, antikommunistische Thesen festgelegt und debattieren sehr einseitig über die Geschichte. Das gefällt mir nicht. Ich glaube man, muss beides sehen: Sowohl die Verbrechen Stalins, aber auch die Einflüsse Russlands auf die Welt.

www.aktuell.RU: Die Nachbarländer Russlands haben derzeit nicht viel Sinn für einen Wärmestrom aus dem Osten. Vielerorts gilt die Devise: Nichts wie weg von Moskau. Wie bewerten Sie und Ihre Partei die so genannten “Orangenen Revolutionen” in den GUS-Staaten.

Bisky: Natürlich haben wir nichts gegen das Streben der Ukraine nach mehr Demokratie. Dort wollen wir nichts unterstützen, was undemokratisch ist, um Gottes Willen! Aber wir sehen auch die Widersprüche, die damit verbunden sind. Wir hielten es für gut, wenn es gute Beziehungen zwischen den Nachfolgestaaten der UdSSR gäbe. Und da mache mir schon manchmal Sorgen.

www.aktuell.RU: In Deutschland hat Ihre Linkspartei gerade erst ein beachtliches Wahlergebnis erzielt. In Russland sind die sozialen Probleme viel größer als in der Bundesrepublik, gleichzeitig gibt es praktisch keine wahrnehmbare moderne linke Opposition. Woran liegt das?

Bisky: Ich bin verwundert. Es gab und gibt bis heute die Sozialistische Partei der Werktätigen von Roi Medwedjew, die fand ich wunderbar. Die Art und Weise, wie Medwedjew die Sowjetunion aus einer sozialistischen Perspektive kritisiert hat, war für mich eine überzeugende Auseinandersetzung mit der Geschichte, um neue Grundlagen für die Politik zu schaffen. Aber die Partei hat keinen großen Einfluss. Warum, kann ich nicht beurteilen.

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Lenin ist zu hinterfragen

www.aktuell.RU: Die Russische KP hat vor kurzem begonnen, Unterschriften gegen die Schließung des Lenin-Mausoleums zu sammeln. Können Sie derlei Aktivitäten noch nachvollziehen? Sie hätten da doch vermutlich nicht mehr unterschrieben, oder?

Bisky: Ich weiß nicht, ob ich so etwas unterschrieben hätte. Für mich hat der Name Lenin im ersten Teil meines Lebens immer eine positive Bedeutung gehabt. Die hat er so nicht mehr. Lenin ist zu hinterfragen. Wir brauchen auch eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Anteil an der undemokratischen Entwicklung. Ich weiß aber auch, dass der “Rote Terror” die Antwort auf den “Weißen Terror” war. Ich weiß auch, wie die Westmächte, auch die Deutschen, über Russland hergefallen sind und dass die Gewalt, die Lenin aufbot, eine Gewalt gegen Unterdrücker war. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, den Lenin aus dem Mausoleum zu entfernen. Vielleicht sollte das die Bevölkerung entscheiden.

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www.aktuell.RU:Eine Volksabstimmung?

Bisky:Oder über die Parteien. Warum denn nicht? In Deutschland stellt sich im Moment die Frage, ein Denkmal über die Vertreibung zu errichten. Das würde ich auch gerne in der Bevölkerung diskutieren. Wenn sich die Politiker lediglich ihre gegenseitigen Vorurteile bestätigen, macht es keinen Sinn. Warum gestaltet man nicht zum Beispiel ein Denkmal über die Vertreibung in Osteuropa zusammen mit den Polen, Tschechen und Russen? Wir alle wären dann angehalten, unsere Geschichte noch einmal zu vergegenwärtigen.

www.aktuell.RU: Wo sollte ein solches Mahnmal stehen?

Bisky: Es könnte in Warschau stehen oder in Prag. Oder in Frankfurt an der Oder – diese Anregung hat Günter Grass einmal gemacht. Ein Museum auf einer Brücke über die Oder einzurichten, wäre eine hervorragende Idee.

Kulturbeziehungen im Alltagsleben der Völker

www.aktuell.RU:Sie beklagen den mangelnden Kulturaustausch zwischen Deutschland und Russland. Es gibt aber doch relativ viele Großprojekte wie das “Jahr der deutschen Kultur in Russland” oder die Ausstellung “Moskau Berlin”. Das sind doch alles beeindruckende Projekte...

Bisky: Statistisch gibt es sehr viele Aktivitäten. Die deutsche Regierung strahlt vor Optimismus, wenn sie über die Kulturbeziehungen spricht. Aber ich meine das, was im Alltagsleben der Völker stattfindet. Das ist etwas anderes als Veranstaltungen auf der Regierungsebene. Da muss man nachdenken dürfen, warum das geschieht. Ich möchte, dass es wieder mehr Leben gibt, dass zum Beispiel die guten Beziehungen der Filmhochschule Babelsberg zum Moskauer Filminstitut WGIK weiter entwickelt würden.

www.aktuell.RU: Sehen Sie eine Chance, dass an deutschen Schulen wieder mehr Russisch unterrichtet wird?

Bisky: Ich hoffe sehr darauf. Viele im Osten können ja noch Russisch, aber sie können die Sprache nicht mehr nutzen. Die russische Sprache zu vernachlässigen wäre Wahnsinn angesichts der Zukunft, die wir gemeinsam haben.







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