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Am orthodoxen Weihnachtsfest gehen immer mehr Menschen in Russland in die Kirche. (Foto: Mrozek/.rufo)
Am orthodoxen Weihnachtsfest gehen immer mehr Menschen in Russland in die Kirche. (Foto: Mrozek/.rufo)
Freitag, 21.12.2012

Russische Weihnachten – gefeiert wird erst im Januar

Moskau. Väterchen Frost, der russische Weihnachtsmann, beglückt die Kinder im Land nicht zu Heiligabend, sondern in der Silvesternacht. Weihnachten wird nämlich dank einer Kalenderverschiebung erst am 7. Januar begangen.

Für das westliche Verständnis ist die Abfolge der Feiertage um den Jahreswechsel in Russland verwirrend – es wird nämlich zuerst das Neujahrsfest gefeiert und dann Weihnachten. Der Grund ist ganz einfach: die russisch-orthodoxe Kirche behält den „alten“ (julianischen) Kalender bei, der hinter dem „neuen“ (gregorianischen) um 13 Tage hinterher hinkt.

Heiligabend sieben Tage nach Silvester


Auch der Ablauf der Silvesternacht sorgt bei Nichteingeweihten für Erstaunen – in der guten Stube steht ein geschmückter Tannenbaum, unter dem die Geschenke lagern, und Väterchen Frost kommt in Begleitung seiner Begleiterin, der Snegurotschka (Schneefräulein), mit der Bescherung für die Kleinen.

Silvester ist ein ausgemachtes Familienfest, zu dem man sich frühestens um 23 Uhr zu Tisch setzt. Um Mitternacht wird unter dem aus dem Fernseher tönenden Klang der Kremlglocken eine Flasche Sekt geleert – und dann nimmt die Feier erst so richtig Fahrt auf und zieht sich bis zum Morgen hin.

Bei Russland-Aktuell
• Weihnachten in Russland (06.03.2007)
• 110-jährige Tanne wird russischer Hauptweihnachtsbaum (16.11.2012)
• Millionen Russen begehen orthodoxe Weihnacht (06.01.2012)
Erst sieben Tage später folgt das Weihnachtsfest. Und am 13. Januar begehen die ganz Hartnäckigen auch noch das „alte neue Jahr“. Dann hat Russland fast zwei Wochen Ferien hinter sich, denn seit 2004 ist die Zeit von Silvester bis nach Weihnachten arbeitsfrei – im Schnitt sind das zehn Tage.

Bis zur Oktoberrevolution von 1917 war in Russland der julianische Kalender gültig gewesen. Die siegreichen Bolschewiki führten im Februar 1918 die gregorianische Zeitrechnung ein, aber die russisch-orthodoxe Kirche weigerte sich, die Kalenderreform der gottlosen neuen Machthaber zu übernehmen – und tut es bis heute.

Erste Tanne erst wieder 1935


Die Bolschewiki verboten derweil das Weihnachtsfest und alle anderen christlichen Feste. Weihnachtsmann und Weihnachtbaum wurden in den Untergrund getrieben. Der erste Tannenbaum wurde nach einer langen Pause erst 1935 wieder geschmückt, diesmal aber zu Silvester.

Auf diese Weise gingen schließlich Bräuche wie der Weihnachtsmann und das Verteilen von Geschenken in einem als völlig weltlich verstandenen Fest auf. Der religiöse Hintergrund verschwand fast völlig und kam erst mit der Perestroika seit Mitte der 1980er Jahre zurück.

Seit 1991 ist Weihnachten denn auch wieder offiziell Feiertag in Russland. Zwar feiern immer mehr Leute das orthodoxe Weihnachten – am 6. Januar 2011 sollen 2,1 Millionen Menschen die Heiligabend-Gottesdienste gesucht haben –, aber Hauptfeiertag im Jahresablauf ist und bleibt das fröhliche und ausgelassene Silvesterfest.

40 Tage Fasten


Für streng gläubige Christen ist der feuchtfröhliche Feiermarathon „zwischen den Jahren“ eine schwere Prüfung, denn der Kanon der russisch-orthodoxen Kirche schreibt für die 40 Tage vor Christi Geburt eine Fastenzeit vor.

Zwar ist diese nicht so streng wie vor Ostern, dem orthodoxen Hauptfest, aber verboten sind Fleisch, Milchprodukte und Eier; Fisch darf nur an bestimmten Tagen gegessen werden. Alkohol-Abstinenz versteht sich von selbst. Das Fasten dauert vom 28. November bis zum Aufgang des ersten Sterns am 6. Januar.

“Die Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen“


Wie gehen die Leute in Russland mit den doppeldeutigen Festen um? Wie viele Menschen Weihnachten tatsächlich nach allen kirchlichen Regeln begehen, erfasst keine Statistik. Die Zahl der Kirchgänger wird aber von Jahr zu Jahr größer. Die zentralen Fernsehkanäle übertragen die Gottesdienste, an denen sich Staatsführer wie Wladimir Putin und Dmitri Medwedew gern publikumswirksam zur Schau stellen.

„In den 90er Jahren gab es einen Boom“, sagt der 42-jährige Geschäftsmann Valeri Iljunin, der erst vor Kurzem zum Glauben fand: „Jetzt wächst die Zahl derjenigen, die sich der wahren Bedeutung von Weihnachten bewusst werden.“ Insgesamt ist er aber der Meinung, die Entwicklung „stecke noch in den Kinderschuhen“.

Die 76-jährige Rentnerin Maja Talantowa bedauert, dass ihr der Glauben fehlt, um Weihnachten gebührend zu begehen: „Meine sowjetische Erziehung hindert mich daran, obwohl ich positiv gegenüber der Feier eingestellt bin. Viele meiner Bekannten haben sich der Kirche aber stark angenähert.“ Sie habe sich Mitte der 1980er Jahre taufen lassen, als die streng religionsfeindliche Haltung des sowjetischen Staates abgemildert worden war.

“Die dummen 13 Tage“


Die 50-jährige Susanna Grudinowa, die in Moskau in einer Konzertagentur tätig ist, erzählt, sie sei früher in die Kirche gegangen, als es unerwünscht war, jetzt, wo es Mode geworden sei, tue sie es nicht mehr: „Ich denke, das liegt auch daran, dass die Kirche immer aktiver versucht, auf das weltliche Leben, die Bildung usw. Einfluss zu nehmen. Sie ist zu geschäftstüchtig geworden.“

Die Fest-Doppelung empfindet sie als störend: „Wenn ich entscheiden könnte, würde ich einen Einheitskalender einführen, ohne diese dummen 13 Tage Unterschied.“ Damit steht sie sicher nicht allein da, aber innerhalb der Kirchenführung wird der „alte Stil“ momentan nicht in Frage gestellt.



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