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70 Jahre «Todesspiel» in Kiew: Der Mythos lebt weiter
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Der Eingang in das Stadion in Kiew, wo im August 1942 das "Todesspiel" stattfand. (Foto: wikipedia)
Der Eingang in das Stadion in Kiew, wo im August 1942 das "Todesspiel" stattfand. (Foto: wikipedia)
Freitag, 29.06.2012

70 Jahre «Todesspiel» in Kiew: Der Mythos lebt weiter

Kiew. Mitten im Krieg spielen ukrainische Zwangsarbeiter gegen deutsche Soldaten Fußball - und gewinnen. Als «Todesspiel von Kiew» geht die Partie von 1942 in die Geschichte ein. Doch was ist Wahrheit und was Legende?

Eine Stunde Fußmarsch vom Olympiastadion entfernt, in dem an diesem Sonntag das EM-Finale steigt, stützen in Kiew sechs Säulen an der Marschall-Rybalko-Straße den Eingang zum ehemaligen Zenit-Stadion. Vor 70 Jahren besiegte ein Fußball-Team ukrainischer Zwangsarbeiter hier eine deutsche Soldatenauswahl mit 5:3.

Es ist die Geburtsstunde eines Mythos: das «Todesspiel». Über die Folgen der Begegnung kann fast jeder Ukrainer Geschichten erzählen. Nur: Welche stimmt? Als Rache für die Demütigung erschossen die Deutschen nach dem Spiel ihre ukrainischen Gegner, heißt es. Historiker zweifeln an dieser Version.

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“Ideal für die Sowjetpropaganda“


Der Stand der Forschung sieht anders aus, ist aber schrecklich genug: Mindestens vier ukrainische Spieler des FK Start wurden später getötet, das gilt als gesichert. Die deutsche Justiz leitete 1973 und 2005 Ermittlungen ein, stellte die Verfahren jedoch ein.

«Das sogenannte Todesspiel war ideal für die Sowjetpropaganda», sagt der ukrainische Politologe Wladimir Fessenko. «Zum einen konnte Sport als Dienst am Vaterland vereinnahmt werden, zum anderen demonstrierte man die Grausamkeit der faschistischen Besatzer.» Beide Mannschaften hätten aber nach dem Spiel am 9. August 1942 für ein gemeinsames Foto posiert. Bis 1990 war die Aufnahme fast unbekannt.

Vortäuschung von Normalität


Die Vorgeschichte: Am 6. August 1942 gewann der FK Start gegen die sogenannte Flakelf 5:1. Für drei Tage später setzten die Deutschen eine Revanche an. An jenem Sonntag war die Sowjetrepublik Ukraine seit über einem Jahr besetzt.

Angesichts einer Blutspur war die anfängliche Begeisterung eines Teils der Bevölkerung verflogen, der sich die Befreiung vom Kommunismus erhofft hatte. Allein in der Schlucht Babi Jar erschoss ein SS-Kommando fast 34 000 Juden.

Inmitten von Mord und Totschlag im besetzten Kiew sollten Fußballspiele zwischen deutschen Auswahlmannschaften und ukrainischen Teams Normalität vortäuschen - «zur Hebung der Moral», wie die Führung in Berlin befahl.

Was die Besatzer nicht ahnten: Hinter der Bäckerei-Betriebself namens FK Start verbargen sich Spieler der zwangsaufgelösten Kiewer Vereine Dynamo und Lokomotive. Gegen die Top-Sportler hatte die deutsche Auswahl kaum Chancen. «Zudem agierten die unterdrückten Ukrainer mit übergroßem Einsatz, weil für sie die Spiele eine Art Ventil waren», sagt der Publizist Wladimir Gorbatsch.

In späteren Propaganda-Filmen über das Spiel trägt das ukrainische Team demonstrativ rote Trikots und wird von den Deutschen bedroht: «Verliert oder sterbt!» Diese Warnung lässt sich heute nicht belegen - und die Trikots erhielt das Team von der deutschen Stadtverwaltung.

Dem alltäglichen Terror der Besatzer entging jedoch auch der FK Start nicht: Einer ihrer Stürmer wurde als vermeintlicher Sowjet-Agent zu Tode gefoltert, drei weitere Spieler starben im Konzentrationslager Siretz bei einer Massenexekution. Ein direkter Zusammenhang mit dem «Todesspiel» ist für Historiker aber in keinem der Fälle erkennbar.

Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt


In der Ukraine, die Millionen Kriegsopfer beklagen musste, ruft der «Mythos Todesspiel» auch heute noch Emotionen hervor. So stand der neue Film «Match» des russischen Regisseurs Andrej Maljukow vor wenigen Wochen in der Ex-Sowjetrepublik vor einem Aufführungsverbot.

Ukrainer würden darin als NS-Kollaborateure dargestellt, lautet die Kritik in Kiew. Für viele Ukrainer, bei denen sich das «Todesspiel» in das kollektive Gedächtnis so eingebrannt hat wie das «Wunder von Bern» (1954) bei zahlreichen Deutschen, ist das eine Beleidigung.

(Wolfgang Jung, dpa)



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