Von André Ballin, Moskau. Als vor einem Jahr in Georgien Altpräsident Eduard Schewardnadse nach tagelangen Protesten der Opposition abdankte, war der Jubel auf den Straßen von Tiflis riesengroß. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt. Die Hoffnungen, die das Volk in Oppositions- führer Michail Saakaschwili setzte, konnte dieser kaum erfüllen. Sein einst hoch gelobtes energisches Auftreten wird heute als eigensinnig und sogar diktatorisch kritisiert.
Einen innenpolitischen Erfolg brachte ihm diese Unverfrorenheit zumindest ein. Die widerspenstige Schwarzmeerprovinz Adscharien, die sich der Zentralmacht in Tiflis nur gelegentlich unterordnete, nämlich dann, wenn es Provinzfürst Aslan Abaschidse gefiel, wurde wieder auf Kurs gebracht. Abaschidse flüchtete ins Exil nach Moskau.
Die von Saakaschwili hervorgerufenen Provokationen in der abspenstigen Teilrepublik Südossetien blieben hingegen erfolglos. Im Gegenteil – die Georgier verloren bei den Scharmützeln mehrere Soldaten und Saakaschwili einen Großteil seiner Reputation im Ausland.
Zwar zeigen die im Chaos weitgehend gescheiterten Wahlen in der zweiten Krisenregion Abchasien das Legitimitätsmanko der Regionalführung, doch Saakaschwili fand auch hier keinen Hebel, um auf friedliche Weise größeren Einfluss in der abspenstigen Republik zu gewinnen.
Neue Opposition befürchtet Diktatur
In Tiflis formiert sich derweil immer größerer Widerstand gegen den Führungsstil des charismatischen Politikers. Bürgerrechtler schickten vor etwa einem Monat einen offenen Brief an den Präsidenten, in dem sie vor einem Abgleiten des Landes in die Diktatur warnten. Bei einem Gespräch mit Saakaschwili mahnten sie vor allem Pressefreiheit an.
Mit dem neuen Wirtschaftsminister, dem russischen Oligarchen Kacha Bendukidse, den er aus Moskau geholt hatte, hoffte Saakaschwili auf frischen Wind in der Ökonomie. Doch das gravierendste Problem – die Korruption – konnte bislang kaum eingedämmt weden.
In elf Regionen stellte ein Kontrollausschuss Unregelmäßigkeiten beim Haushalt fest. Der Bau einer großen Ölpipeline ist im Verzug und droht außerdem teurer zu werden als ursprünglich geplant.
Die Bilanz Saakaschwilis nach einem Jahr ist also eher bescheiden. Noch geben ihm die Georgier Bewährung, aber Geduld ist im Kaukasus nicht gerade eine weit verbreitete Tugend.
(ab/.rufo)
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