Von Karsten Packeiser, Moskau. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte den spektakulärsten und längsten Entführungsfall der letzten Jahre zur Chefsache, sein Innen- und der russische Außenminister ebenfalls. Doch Arjan Erkel, niederländischer Mitarbeiter der „Ärzte ohne Grenzen“, befindet sich auch nach über anderthalb Jahren weiter im Kaukasus in Geiselhaft.
Nachdem Versuche scheiterten, den inzwischen offenbar schwer erkrankten Erkel durch Verhandlungen zu befreien, haben die „Ärzte ohne Grenzen“ nun schwere Vorwurfe gegen die russischen Behörden erhoben. Die russische Seite zeige keinerlei Interesse daran, den entführten 34-Jährigen zu befreien, obwohl den zuständigen Stellen offensichtlich dessen Aufenthaltsort bekannt sei, kritisiert die Organisation. Die zuständigen Behörden der an Tschetschenien grenzenden Teilrepublik Dagestan hätten zwischenzeitlich die Ermittlungen sogar ganz eingestellen lassen. Dabei nannte die oppositionelle Moskauer Wochenzeitung „Nowaja Gaseta“ bereits den Namen eines Regionalabgeordneten, der offenbar in die Entführung verwickelt ist.
Nach Informationen der „Ärzte ohne Grenzen“ sollen nicht nur dagestanische, sondern auch Moskauer Spitzenbeamte mit der Tat zu tun haben. „Wir haben das Gefühl, dass hinter unserem Rucken ein ganz übles Spiel gespielt wird“, sagt Thomas Nierle, Programmleiter der „Ärzte ohne Grenzen“ aus Genf. Er sei sich sicher, dass es den Entführern nicht darum gehe, ein Lösegeld zu erpressen. Möglicherweise sei Erkel zu einem Faustpfand im Machtkampf rivalisierender Unterweltclans geworden, die in der Teilrepublik Dagestan nahezu sämtliche staatlichen Strukturen unterwandert haben. „Unsere zweite Hypothese ist, dass Organisationen wie 'Ärzte ohne Grenzen' im Kaukasus nicht gerne gesehen sind“, spekuliert Nierle. Die Entführung Erkels bedrohe die gesamte unabhängige humanitäre Hilfe im Kaukasus.
Arjan Erkel, der die Mission der „Ärzte ohne Grenzen“ in Dagestan leitete, wurde im August 2002 in der Nähe der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala verschleppt. Vor seinem Verschwinden hatte der russische Inlandsgeheimdienst FSB den Niederländer vor einer möglichen Entführung gewarnt und ihn beschatten lassen. Die Geheimdienstler waren mit großer Sicherheit auch zum Zeitpunkt der Entführung in Erkels Nähe, ohne jedoch in das Geschehen einzugreifen. Erst nach mehreren Monaten gelang es Erkels Kollegen, über eine Kette von Vermittlern Kontakt zu den Kidnappern herzustellen. Dieser brach Ende 2003 aber wieder ab, als bereits über die Höhe des Lösegeldes verhandelt wurde.
In der Vergangenheit sind Lösegelderpressungen zu einem nicht unerheblichen Wirtschaftszweig in Teilen des russischen Kaukasus geworden. Auch tschetschenische Kampfgruppen finanzieren ihren Guerilla-Krieg gegen die russische Armee und die prorussischen tschetschenischen Behörden teilweise durch Entführungen. Bevorzugte Opfer waren zuletzt vor allem Journalisten und Mitarbeiter humanitärer Organisationen.
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Allerdings halten sich hartnäckige Gerüchte darüber, dass auch der russische FSB in mehrere spektakuläre Entführungsfälle verwickelt ist, wie etwa den des “Radio Liberty”-Reporters Andrej Babizki Anfang 2000. Auch im Fall Erkel gibt es viele Fragen an den FSB. Sechs Monate nach der Entfuhrung erhielten die „Ärzte ohne Grenzen“ eine Telefonrechnung für 50 Gespräche, die mit Erkels Mobiltelefon geführt wurden. Nach Angaben Nierles gehörten einige der angewählten Nummern eindeutig Personen, die „bestimmte Posten im FSB einnehmen“.
(epd)
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