Von Karsten Packeiser, Moskau. „Ärzte ohne Grenzen“ betreuen Tuberkulose-Kranke in sibirischen Gefängnissen und helfen Flutopfern in Jakutien. Caritas und Heilsarmee versuchen, das Moskauer Obdachlosenheer durch den kalten Winter zu retten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) schickt nach wie vor Lastwagen mit Hilfsgütern in die zerschossene tschetschenische Hauptstadt Grosny. Viele soziale Projekte in Russland wären ohne den Einsatz ausländischer Organisationen undenkbar. Doch oft geraten die Helfer selbst in Gefahr.
Für das IKRK ist Russland im Finanzplan für 2003 mit geplanten 30,4 Millionen US-Dollar Ausgaben das drittgrößte Einsatzgebiet weltweit - nach Afghanistan und den Palästinenser-Gebieten. Ein Großteil des Geldes fließt in das Kaukasus-Hilfsprogramm. In Tschetschenien erhält die Zivilbevölkerung von den russischen Behörden inzwischen zwar wieder Renten und Sozialhilfe, aber viele Menschen bleiben auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Das IKRK weist dabei die oft erhobene Kritik zurück, ihre Hilfsladungen gelange an die falschen Adressaten, die die Care-Pakete dann verkaufen. Der Handel mit humanitärer Hilfe an sich bedeute keineswegs, dass die Empfänger keine Hilfe nötig hätten, so Francois Wuarin, Vizechef der Moskauer IKRK-Delegation. "Es ist für uns kein Problem, wenn jemand seinen Zucker verkauft, um sich Medikamente leisten zu können." Wichtig sei nur, dass die Bedürftigen die Hilfe persönlich erhalten.
In der Krisenregion Tschetschenien, wo sie Flüchtlinge und Vertriebene betreuen, werden die Helfer oft selbst zu Gejagten. Bei einem Überfall wurden im Dezember 1996 sechs IKRK-Delegierte im Schlaf ermordet. Seit Juli 2002 fehlt jede Spur von dem entführten Niederländer Arjan Erkel, der die Mission der „Ärzte ohne Grenzen“ in der an Tschetschenien grenzenden Teilrepublik Dagestan leitete. „Wir wissen nichts über sein Schicksal“, sagt Mark Walsh, Sprecher der Organisation in Moskau.
Seit der Entführung haben die „Ärzte ohne Grenzen“ ihre Arbeit in Dagestan und Tschetschenien weitgehend eingestellt. Nun keimt wieder Hoffnung für Erkel auf: Am Donnerstag kam Nina Dawydowitsch, die Leiterin einer russischen Hilfsorganisation, aus sechmonatiger Geiselhaft frei. Dies wird als gutes Zeichen gewertet.
Das IKRK lässt seine ausländischen Mitarbeiter entgegen der Tradition des Roten Kreuzes im Kaukasus inzwischen von bewaffneten Leibwächtern begleiten und setzt außerdem vermehrt auf einheimische Angestellte. „Unsere kaukasischen Mitarbeiter sind vor Entführungen besser geschützt, weil sie in der Regel einem Familienclan angehören, der ihre Sicherheit garantiert“, berichtet Wuarin.
Immer wieder werden die ausländischen Helfer auch beschuldigt, „antirussische Kampagnen“ in westlichen Medien zu entfachen. Präsident Wladimir Putins Generalgouverneur für Südrussland, Viktor Kasanzew, warf dem Roten Kreuz vor, „Spione“ nach Tschetschenien zu entsenden. Das IKRK nimmt solche Vorwürfe gelassen zur Kenntnis. „In Kriegsgebieten kommt so etwas immer wieder vor“, wiegelt Wuarin ab. Grundsätzlich werde die Neutralität des Roten Kreuzes in Tschetschenien aber von beiden Konfliktparteien anerkannt.
„Die Moskauer Behörden sind natürlich dankbar, wenn wir einen Teil ihrer Arbeit abnehmen“, sagt Alexej Nikiforow, Koordinator des Obdachlosenprojekts der „Ärzte ohne Grenzen“, „aber natürlich gefällt es niemandem, wenn wir lautstark Reformen anmahnen.“
(epd).
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