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18-07-2003 Politik |
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Kapitalisten in Russland: Vom Volk verhasst, vom Staat verfolgt
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Von Vladimir Essipov, Moskau. Die Russen sind von ihrer hausgemachten Marktwirtschaft enttäuscht. Zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch des Sozialismus denkt die Mehrheit im Land schlecht über die neureichen Kapitalisten und hat nichts gegen deren Verfolgung. „Für Geschäftsleute bleibt die russische Gesellschaft eine gefährliche, sumpfige Gegend“, sinniert der Vize-Chef des Unternehmer-Verbandes Igor Jürgens.
74 Prozent der Russen schätzen die Rolle der sogenannten „Oligarchen“ in der neuesten russischen Geschichte als negativ ein, 77 Prozent sind der Meinung, die Ergebnisse der Privatisierung müssten ganz oder zum Teil revidiert werden, 57 Prozent der Befragten hätten nichts dagegen, wenn der Staat die Kapitalisten zur Not auch polizeilich verfolgt. Das ergab eine im Auftrag der Zeitung „Wedomosti“ durchgeführte Meinungsumfrage. Allerdings wissen 80 Prozent der Russen entweder über den Yukos-Skandal nichts, oder aber interessieren sich nicht dafür.
Die Geschäftsleute selbst erkennen inzwischen den Ernst der Lage. Besorgt von drohenden Nationalisierung, haben am Donnerstag drei Unternehmensverbände, unterstützt vom Menschenrechtsausschuss des Präsidenten, eine Krisengruppe gebildet. Die hat sich zur Aufgabe gemacht, das Eigentum der Unternehmen vor Attacken der Staatsanwaltschaft, der Polizei und des Inlandsgeheimdienstes FSB zu verteidigen.
Hinter den Kulissen der Sitzung hätten einige Teilnehmer gar zu einem Streik aufgerufen, berichtet die Zeitung „Kommersant“. In den kommenden Tagen ist ein neuer Aufruf an Wladimir Putin geplant, diesmal in einem schärferen Ton. Die Unternehmen wollen dem Präsidenten vorschlagen, die Frist für eine mögliche Revidierung der einzelnen Privatisierungen auf drei Jahre zu begrenzen. Außerdem sollen Polizei und die Staatsanwaltschaft gesetzlich verpflichtet werden, die Verluste der Unternehmen von illegalen Durchsuchungen zu erstatten.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses Ella Pamfilowa sagte, die Revidierung der Privatisierungsergebnisse sei nicht nur für Großunternehmen gefährlich. Auch ein Normalbürger könne zur Zielscheibe der Staatsanwälte werden, wenn er vor zehn Jahren seine staatliche Wohnung privatisiert habe. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen ihr nächstes Ziel im Visier: der russische Energiemonopolist RAO EES – und die nicht ganz geklärten Umstände der Privatisierung des staatlichen Stromkonzerns Nowosibirskenergo in der Stadt Nowosibirsk. Analytiker sehen den Fall bereits in einer Reihe mit Ermittlungen gegen Yukos und Unternehmen aus der Gruppe von Oleg Deripaska.
An der Börse in Moskau dauerte am Donnerstag die Talfahrt an. Die Yukos-Aktien verloren abermals mehr als sechs Prozent ihres Wertes, der russische Aktienindex RTS schloss mit einem Minus von 4,7 Prozent. Milliarden sind aus dem Land geflossen, die Regierung verbreitet aber weiter Optimismus. Sie hat ihre Prognose für den Wirtschaftswachstum 2003 erneut nach oben korrigiert, von 5,7 auf 5,9 Prozent wird wohl das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr wachsen. Ursprünglich ging die russische Regierung von einem Wachstum in Höhe von 4,6 Prozent aus.
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