Von Karsten Packeiser, Moskau. „Dies ist das närrische Werk eines verbissenen Russland-Feindes“, schimpfte Dmitrij Rogosin, der außenpolitische Sprecher der Moskauer Staatsduma. „Diese Idee kann man noch nicht einmal kommentieren. Man kann sie nur in Bausch und Bogen ablehnen.“ Die Initiative des Bundestagsabgeordneten Rudolf Bindig (SPD), nach jugoslawischem Vorbild einen internationalen Gerichtshof für Tschetschenien einzurichten, ist bei der politischen Elite Russlands übel angekommen.
Der Rechtsausschuss des Europarats hatte in der vergangenen Woche die Anregung des derzeitigen deutschen Delegationsleiters Bindig unterstützt. Ein internationales Gericht sei nötig, wenn die russische Justiz auch in Zukunft nicht ernsthaft gegen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien vorgehen sollte. Im niederländischen Den Haag verfolgt ein nicht unumstrittener Sonder-Gerichtshof seit 1993 mutmaßliche Kriegsverbrecher aus dem früheren Jugoslawien. Auch Ex-Diktator Slobodan Milosevic muss sich dort verantworten.
Während das Jugoslawien-Tribunal mit dem Segen des UN-Sicherheitsrats eingerichtet wurde, wird die Veto-Macht Russland einen Kaukasus-Gerichtshof kaum zulassen. Ein Sprecher des Außenministeriums nannte den Vorschlag „absurd“, denn die russische Justiz sei in der Lage, Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien selbstständig zu verfolgen.
Genau daran zweifelt aber die russische Menschenrechtsorganisation Memorial. Sie hält die Einrichtung eines Tribunals für „absolut richtig und gesetzmäßig“. Zwar seien inzwischen in mehr als 1.000 Fällen Strafverfahren eingeleitet worden, in denen tschetschenische Zivilisten „verschwunden“ waren, so Memorial. Jedoch seien drei Viertel dieser Verfahren ergebnislos wieder eingestellt worden. Die russischen Militärs in Tschetschenien täten alles, um unabhängige Ermittlungen unmöglich zu machen.
Der Vorsitzende des Memorial-Menschenrechtskomitees, Oleg Orlow, hatte die Armee erst kürzlich beschuldigt, in Tschetschenien würden Todesschwadronen ihr Unwesen treiben. Über die Zahl der zivilen Todesopfer des zweiten Tschetschenienkrieges gibt es nicht einmal annähernde offizielle Angaben. Menschenrechtler sprechen von bis zu 100.000 Menschen, die während des Krieges umkamen.
Der Kreml hat anstelle der auch von Memorial geforderten Verhandlungen mit dem Rebellen- Präsidenten Alsan Maschadow längst einen eigenen Weg zur Befriedung der Kaukasus-Republik vorgegeben. Mit einem Referendum sollen die Tschetschenen Ende März für eine neue Verfassung stimmen, mit der sich der Kreml-Statthalter Achmed Kadyrow zum offiziellen Präsidenten der Teilrepublik wählen lassen könnte. Während die Moskauer Führung einen Teilabzug ihrer Truppen begonnen hat, um damit ein weiteres Mal das angebliche Ende des Krieges zu dokumentieren, versuchen die Rebellen die Volksabstimmung mit immer neuen blutigen Terroranschlägen zu verhindern.
Kritik an einem Kaukasus-Tribunal war schließlich auch aus dem tschetschenischen Untergrund zu vernehmen. Es sei beschämend, eine „Armee von Kriegsverbrechern und Marodeuren” mit den tschetschenischen „Mudschaheddin” auf eine Stufe zu stellen, die ihre „heilige Pflicht“ erfüllten, hieß es auf einer Webseite der Rebellen. Der Europarat hatte ausdrücklich dazu aufgefordert, Verbrechen beider Seiten zu verfolgen.
(epd).
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