St. Petersburg. Den Namen „Kulturhauptstadt“ trägt St. Petersburg mit Stolz und zu Recht. Kaum eine andere Stadt kann sich so vieler kultureller Werte rühmen. Doch nirgends sind diese auch so gefährdet. Schuld daran ist der desolate Zustand von Rohren und Leitungen und ein vorsintflutlicher Brandschutz. Jüngstes Opfer der Schluderei wurde am Donnerstag eine Bibliothek auf dem Newski Prospekt.
Die Alexander-Blok-Bücherei befindet sich am Newski Prospekt Nr. 20 im ehemaligen Haus der Holländischen Kirche, das zwischen 1831 und 1833 im Empire-Stil erbaut wurde und unter Denkmalschutz steht. Das Feuer brach im ersten Stock aus. Über die hölzernen Zwischendecken fraß es sich in Windeseile in das oberste Stockwerk und von dort auf den Dachboden durch.
Menschen kamen nicht zu Schaden, alle Besucher und Mitarbeiter der Bibliothek sowie Angestellte der im Hause ansässigen Geschäfte und Firmen konnten rechtzeitig das Haus verlassen. Im Einsatz waren insgesamt 190 Feuerwehrleute. Da die Hydranten wegen des Frosts (es herrschten minus 16 Grad an diesem Tag) eingefroren waren, musste das nahegelegene Moika-Flüsschen als Wasserspender eingesetzt werden.
Die Feuerwehr war bis weit nach Mitternacht im Einsatz, um das Feuer, das sich auf insgesamt 3000 Quadratmeter ausgebreitet hatte, vollends zu liquidieren. Die Bestände der Bibliothek kamen durch den Brand nicht zu Schaden. Die meisten Bücher konnten durch schnelles Umlagern gerettet werden. Wie hoch der Verlust durch das Löschwasser ist, stellt zurzeit eine Sonderkommission an Ort und Stelle fest.
Eine Ironie des Schicksals – ein Teil der Feuerwehrwagen und ihrer Besatzungen kam direkt von einer groß angelegten Übung auf der Petrograder Seite. Als die Meldung über den Brand in der Blok-Bibliothek eintraf, hatten Katastrophenschutz, Miliz, Feuerwehr und Rettungsdienst auf der anderen Newa-Seite den Ernstfall geprobt. Laut der Tageszeitung „Kommersant“ war dies der Grund für das leicht verspätete Eintreffen der Feuerwehr an Petersburgs Hauptstraße.
Vizegouverneur Andrej Tschernenko, in dessen Anwesenheit die Übung auf der Petrograder Seite abgehalten worden war, kommentierte das Feuer am Newski mit den lakonischen Worten: „Das war kein Terrorakt, das war unsere ewige Schluderei!“ Und brachte damit ein altes und zähes Petersburger Problem auf den Punkt. Der schlechte Zustand der Strom- und Wasserleitungen und die veralteten Brandschutzvorrichtungen in den historischen Bauten, die zum größten Teil jahrzehntelang nicht erneuert worden sind, führen immer wieder zu derartigen Katastrophen.
Selbst für die Blok-Bibliothek war der gestrige Ausnahmezustand nicht der erste. Im Jahre 2001 waren in dem Gebäude Heizungs-Hauptrohre geplatzt und hatten die einzigartige Sammlung von Noten und Schallplatten mit kochend heißem Wasser übergossen.
Erst im letzten Herbst brannte das Magazin des Mariinski-Theaters, in dem ein Teil der Bühnendekorationen gelagert wurde, völlig aus. Unvergessen ist bis heute der verheerende Brand in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften vor einigen Jahren, dem wertvolle Bestände zum Opfer fielen.
Natürlich ist Petersburg zu Recht stolz auf seine historische Bebauung und die darin gelagerten Kulturschätze. Aber es fehlen die Mittel, um erstgenannte mit einer modernen Infrastruktur zu versorgen, damit letztgenannte sich in sicherer Verwahrung wähnen können. Je mehr Zeit vergeht, desto aktueller wird dieses Problem, desto dringender muss seine Lösung in Angriff genommen werden.
(sb/.rufo) |