Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Die Gouverneurswahlen in Wladimir Putins Heimatstadt brachten für den Kreml eine doppelte Schlappe: Trotz fehlender starker Gegenkandidaten konnte die von Putin persönlich unterstützte Kandidatin Valentina Matwijenko im ersten Wahlgang nicht gewinnen. Und die miserable Wahlbeteiligung von 29 Prozent zeigt, dass die Petersburger an vermeintlich vorbestimmten Wahlen kein großes Interesse haben.
Die meisten Prognosen vor der Wahl und selbst die am Wahltag vor den Wahllokalen erhobenen „exit-polls“ gaben Putins Wunschkandidatin etwas mehr als die für den sofortigen Sieg nötigen 50 Prozent. Doch die Auszählung über Nacht brachte eine Überraschung: Auf Valentina Matwijenko entfielen „nur“ 48,6 Prozent. Ihre Hauptgegnerin, die bisherige Vizegouverneurin Anna Markowa, brachte es aber auch nur auf 15,9 Prozent und geht so mit einem überdeutlichen Handicap in die Stichwahlen in zwei Wochen.
Als geheimer Wahlsieger darf der virtuelle Kandidat „gegen alle“ gelten. Bei dieser Variante für die mit dem Kandidaten-Aufgebot Unzufriedenen (die dennoch nicht zu faul sind, am Sonntag in ihr Wahllokal zu gehen) machten immerhin 11 Prozent ihr Kreuzchen.
Von den anderen Kandidaten schnitt Sergej Beljajew (mit seinem Anti-Damenwahl-Slogan „Gouverneur ist Männersache“) noch am besten ab: Er sammelte 8,1 Prozent. Auf Michail Amossow, Stadtparlamentsabgeordneter der Partei „Jabloko“, entfielen 7 Prozent. Konstantin Suchenko, der wegen seiner Kandidatur gegen Matwijenko aus der Macht-Partei „Einiges Russland“ ausgeschlossen wurde, erkämpfte sich knapp über 5 Prozent. Alle anderen Bewerber blieben unter der Einprozent-Marke.
Sehr bescheiden fiel die Wahlbeteiligung aus: Nur 29 Prozent der 3,6 Millionen stimmberechtigten Petersburger fanden den Weg in ein Wahllokal. Und dies, obwohl mit zusätzlichen und kostenlosen Vorortzügen die Städter von ihren Datschas in die Stadt gelockt wurden. In manchen Wahllokalen gab es als Lockmittel sogar kalte Bufetts mit besonders billigen Wurst-„Butterbrody“ für 3,60 Rubel (10 Cents).
Bei den letzten Gouverneurswahlen, als sich der damalige Gouverneur Wladimir Jakowlew faktisch unangefochten zur Wiederwahl stellte, gingen immerhin noch 48 Prozent der Petersburger zur Wahl. Diesmal schien der Mehrheit der Petersburger der Wahlausgang zugunsten von Matwijenko offenbar derartig vorbestimmt, dass sie es nicht einmal für nötig hielten, ihrem eigentlich doch so beliebten Präsidenten und Landsmann Putin die Gefolgschaft zu erweisen. Andererseits fehlten wirklich starke Politiker-Persönlichkeiten als Herausforderer: Gegen Matwijenko anzutreten wagte nur die zweite Garde der Lokalpolitik und, mit Sergej Beljajew, eine drittklassige Figur der föderalen Ebene.
Einer weiteren großen Wählergruppe aus „Petersburger Patrioten“ dürfte die vorgezogene Wahl als solche nicht gepasst haben: Wie der bisherige, bei Putin schlecht gelittene Stadt-Chef Jakowlew noch über das 300-Jahr-Jubiläum hinweg vom Kreml toleriert wurde, um dann in einem recht durchsichtigen Schachzug in die Regierung fortgelobt und dort kalt gestellt zu werden, damit sein Sessel im Smolny endlich mit einem Kreml-konformen Stadtverweser besetzen werden kann – dieses Manöver nahmen viele Putin übel. Und es stimmte sie von vornherein nicht nur gegen die zu diesem Zweck zunächst als „Generalgouverneurin“ aus Moskau an die Newa zurück gekehrte Ex-Vizepremierministerin Matwijenko ein, sondern auch gegen das abgekartet scheinende Wahlspektakel als solches.
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• Berichte aus der Vor-Wahl-Zeit
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Diese Wahlmüdigkeit, aber vor allem die hohe Zahl der „Gegen alle“-Stimmen kostete letztlich Matwijenko den Sieg im ersten Wahlgang: Wären die elf Prozent aktiver Protestwähler einfach zuhause geblieben, hätten Matwijenkos 48 Prozent für eine absolute Mehrheit gereicht. Doch in Matwijenkos Stab ist man wahrscheinlich gar nicht so traurig, dass es nicht für eine knappe absolute Mehrheit gereicht hat. Denn dann hätte Matwijenko als Gouverneurin der Makel angehangen, sie wäre nur mit den Stimmen eines Siebtels der Wahlbevölkerung in den Smolny eingezogen.
Deshalb darf nun damit gerechnet werden, dass den Petersburgern in den nächsten zwei Wochen mit allen Methoden des Polit-Marketings klar gemacht wird, dass Wählen Gehen oberste Bürgerpflicht ist. Selbst wenn ihnen die Entscheidung zwischen den beiden blond ondulierten, super-resoluten Damen mit den typischen Apparatschik-Lebensläufen nun noch schwerer fallen dürfte als im ersten Durchgang. Schließlich darf es doch nicht sein, dass gerade im als besonders demokratisch gesinnt geltenden Petersburg die Bürger das Privileg freier Wahlen einfach ignorieren und ihrem eigenen Stadtoberhaupt die öffentliche Legitimierung versagen.
Andererseits, wozu braucht es hier eigentlich Wähler? Bei den Stichwahlen am 5. Oktober gibt es keine Beteiligungsgrenze mehr, ab der die Wahl erst gültig gilt. Im ersten Wahlgang lag sie schon vorausschauend niedrig bei 20 Prozent. Sollten nun ausnahmslos alle Petersburger – sei es aus Frust oder blindem Vertrauen – die Antwort auf die Frage, wer ihre Stadt regieren soll, Wladimir Putin überlassen, dann reicht Valentina Matwijenko für den Wahlsieg auch die eine Stimme, die sie für sich selbst abgeben wird.
(ld/.rufo)
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