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Stalin und sein NKWD-Chef jener Zeit Nikolai Jeschow. Die Zeit des Großen Terros heißt auch Jeschowtschina
Stalin und sein NKWD-Chef jener Zeit Nikolai Jeschow. Die Zeit des Großen Terros heißt auch Jeschowtschina

„Lieber Genosse Stalin“ – Beginn des Großen Terrors

André Ballin, Moskau. Es ist Sommer 1937. Die Menschen in Moskau erfreuen sich der lauen Sommerabende, essen Eis und trinken Brause. Im Gorki-Park fahren die Mädchen Karussell. Junge Männer üben derweil Fallschirmspringen.

Doch gleichzeitig beginnt in diesem hellen Sommer eines der dunkelsten Kapitel der Sowjetgeschichte. Ausgelöst durch den Beschluss des Politbüros „Über die antisowjetischen Elemente“ am 2. Juli 1937 startet eine beispiellose Welle der Repression, die später als der „Große Terror“ in die Geschichte eingeht.

Beschluss gegen die Kulaken



Vor allem gegen die so genannten Kulaken, d.h. die ehemaligen Großbauern, die in den 20er Jahren enteignet und in die Verbannung geschickt worden waren, richten sich die Repressionen. Mitte der 30er Jahre sind die meisten Kulaken wieder heimgekehrt. Nun müssen sie alle erneut registriert werden, „um die am feindlichsten Gesonnenen unverzüglich zu verhaften und nach einem Verfahren durch die Troika zu erschießen“, fordert das Politbüro. Etwas mehr als die Hälfte der standrechtlichen Erschießungen in den Jahren 1937/38 wird an Kulaken vorgenommen.

Die Troika ist dabei eines der Hauptinstrumente des Terrors. Sie besteht aus dem jeweiligen regionalen Leiter des Geheimdienstes NKWD, einem örtlichen Parteisekretär und dem Staatsanwalt. Diese drei Männer sollen in außergerichtlichen Schnellverfahren über Schuld oder Unschuld der Verdächtigen entscheiden, haben das Recht, die Todesstrafe zu verhängen oder zu begnadigen. Gnade wird so gut wie nie gewährt.

Pläne bei „Vernichtung von Volksfeinden“ werden übererfüllt



Die meisten Opfer Stalins werden erst postum rehabilitiert (Foto: Packeiser/.rufo)
Die meisten Opfer Stalins werden erst postum rehabilitiert (Foto: Packeiser/.rufo)
Einmal in Gang gekommen ist die Maschinerie des Terrors nicht mehr zu stoppen. Immer neue Todeslisten werden erstellt, die Komitees bitten wegen „Planübererfüllung“ bei der Tötung von „Staatsfeinden“ um neue Obergrenzen. Die Bitten werden von Stalin und seinem Gehilfen Nikolai Jeschow, dem damaligen NKWD-Chef, stets erfüllt. So heißt es in einem von Stalin unterschriebenen Dokument lapidar: Dem Krasnojarsker Gebiet ist ein zusätzliches Limit von 6.600 Personen der 1. Kategorie einzuräumen“. 1. Kategorie bedeutet Höchststrafe, also standrechtliche Erschießung.

Dabei richtet sich der Terror nicht nur gegen die der Sowjetführung politisch suspekten Großbauern. Mehr und mehr erfasst er auch Armee und Partei. Zuvor anerkannte Klassenkämpfer werden über Nacht zu Vaterlandsverrätern gestempelt, verhaftet und in Schnellprozessen heimlich abgeurteilt und erschossen. „10 Jahre Lagerhaft ohne Recht auf Briefwechsel“ heißt es gegenüber besorgten Angehörigen, die sich nach dem Schicksal ihrer Ehepartner, Kinder oder Eltern erkundigen. Jahrelang bleiben sie im Ungewissen.

„Lieber Genosse Stalin, mein Glück liegt in Ihren Händen“



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„Ich bin die Frau des früheren Kommandeurs der Nordkaukasus-Armee Nikolai D. Kaschirin, der am 19. August 1937 in Moskau verhaftet wurde“, schreibt Walentina Kaschirina im Oktober 1943 an den Sowjetdiktator Josef Stalin. Seit dieser Zeit habe sie nichts mehr von ihrem Mann gehört, klagt die verzweifelte Frau. „Nur auf Ihnen ruht meine Hoffnung, mein Glück liegt in Ihren Händen, lieber Genosse Stalin“. Doch eine Antwort bleibt aus. Kaschirin ist bereits fünf Jahre tot. Im Juni 1938 ist er als „Mitglied einer konterrevolutionären terroristischen Organisation“ erschossen worden.

Walentina Kaschirina wird nach Kasachstan verbannt. Als Ehefrau des „Konterrevolutionärs“ gilt sie als „sozial gefährliches Element“, da sie die angeblichen Machenschaften ihres Gatten nicht denunziert hat. Auf diese Weise fördert die Obrigkeit Denunziantentum und Verleumdung unter der Bevölkerung. Die als Spione und Konterrevolutionäre Gebrandmarkten sind keinesfalls ideologische Abweichler. Die meisten Opfer haben sich bis zu ihrer Verhaftung als stramme Marxisten bewiesen. Doch Stalin geht es nicht um Ideologie, sondern um Macht.

Nicht Ideale, sondern Machtstreben als Motiv für den Terror



Nur diejenigen, die ihm allein – und keinesfalls einer politische Idee - treu ergeben sind, haben eine Chance aufs Überleben. Manchmal reicht allerdings auch das nicht, denn Stalin opfert schließlich selbst seinen getreusten Vasallen, um seine Macht zu sichern. Als der Sowjetdiktator merkt, dass die unbarmherzigen „Säuberungen“ des kleinwüchsigen Geheimdienstchefs Nikolai Jeschow die Reihen der Partei soweit gelichtet haben, dass sie – und damit auch Stalin - vielerorts an Einfluss verliert, lässt er den Terror zurückfahren.

Jeschow wird als Verantwortlicher für den Terror Ende 1938 von Lawrenti Berija an der Spitze des NKWD abgelöst. Jeschow, der im Namen Stalins Tausende zu Volksfeinden stempeln ließ wird nun selbst zu einem gemacht und 1940 erschossen. Die Bevölkerung reagiert auf die Auswechslung des Geheimdienstchefs erleichtert.

Keine Rehabilitation für den blutdürstigen Zwerg



Der NKWD-Chef wird wegen seiner Verbrechen auch nach dem Ende der Stalin-Ära im Gegensatz zu vielen anderen Opfern Stalins nicht rehabilitiert. Im Volksmund bleibt Jeschow als „blutdürstiger Zwerg“ in der Erinnerung.

Während seiner Amtszeit, der so genannten „Jeschowtschina“ wurden über 1,5 Mio. Menschen repressiert. Allein den standrechtlichen Erschießungen fielen zwischen Sommer 1937 – Ende 1938 über 680.000 Menschen zum Opfer.



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