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| Marc Chagall - Schweben vor Glück: „Der Spaziergang“ von 1917-18 (Ausschnitt, Bild pd). |
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Freitag, 22.07.2005
Chagall-Ausstellung: Witebsk ist die ganze WeltSt. Petersburg. Die Chagall-Retrospektive im Korpus Benois bietet einen einmaligen Einblick in das Frühwerk des Künstlers, der zwar im Exil arbeitete, geistig aber immer wieder in sein Russland zurückkehrte.
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Marc Chagall (1887-1985) hat nicht zuletzt wegen seiner vielen Wandmalereien und Fenstern in öffentlichen Gebäuden weltweit grosse Popularität erlangt. Bekannt sind aber vor allem sein Werke aus der Zwischen- und Nachkriegszeit, so etwa die Bilder mit Bibelszenen oder Grafiken mit Musikanten und Artisten. Dieses Spektrum kann nun bei einem Besuch in der gegenwärtigen Ausstellung mit vielen Arbeiten aus den Zehner- und Zwanzigerjahren erweitert werden.
Dabei wird eines klar: Trotz seiner vielen Reisen und seines fast lebenslangen Emigrantendaseins hat Chagall nie wirklich sein weissrussisches Zuhause und seine kleine jüdische Welt verlassen.
„Fliegen“ trotz der Schwere des Lebens
Die Welt der Ostjuden, in der Chagall als Sohn eines Kaufmannsgehilfen aufwächst, ist von der Armseeligkeit einer Volksgruppe geprägt, die nur am Rande der Gesellschaft geduldet wird. Doch gerade sie gibt dem Künstler Kraft und Kreativität für ein ganzes Leben. Die weissrussische Provinzstadt mit ihren einfachen, bunt gestrichenen Holzhäusern, Alltag, Feste und Geschichten der orthodoxen Juden, sowie die Elemente des Lebens, Geburt, Liebe, Leid und Tod nimmt er als reichen Schatz mit auf seinen Weg in die Fremde.
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Marc Chagall - Jugenderinnerungen vor der Staffelei: “Die Erscheinung der Familie des Künstlers“ von 1935-47 (Ausschnitt, Bild pd) |
Obschon Armut und Diskriminierung in dieser Zeit viele Juden zur Auswanderung bewegen, empfindet der junge Chagall soviel Leichtigkeit und Lebensfreude, dass seine Figuren in Bildern wie „Der Spaziergang“ oder „Doppelporträt mit einem Glas voll Wein“ (beide) 1917-18) vor lauter Glück abheben und fliegen.
Kein Platz für Humor und Poesie in der neuen Gesellschaft
Grund für dieses Glücksgefühl sind Liebe, Zärtlichkeit und Fröhlichkeit, die Chagall unter anderem in seiner Beziehung mit seiner ersten Frau Bella erfuhr. Kuss und Umarmung als Ausdruck purer Liebe und Freundschaft tauchen denn auch immer wieder in seinen Bildern auf.
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Wie viele andere Juden engagiert sich Chagall nach der Oktoberrevolution für die neue, vermeintlich bessere Gesellschaft. Doch schon bald muss er als Volkskommissar der bildenden Künste für den Regierungsbezirk Witebsk erkennen, dass Humor und Poesie hier keinen Platz hatten.
Nach einer Phase als Kostümdesigner und Bühnenbildner am jüdischen Theater Moskau, aus der eine ganze Reihe von Werkbeispielen an der Ausstellung vertreten sind, ging er 1922 endgültig ins Ausland. Das Bild „Krieg den Palästen“ (1918), das einen grimmigen Bauern zeigt, der einen Palast in die Luft hebt, enthält den Zwiespalt einer Revolution, die neben Neuerungen viel Zerstörung mit sich bringt.
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| Adresse |
Die Ausstellung ist bis am 20. September im Korpus Benois im Russischen Museum zu sehen.
Adresse: Kanal Gribojedowa
Nächste Metro: Newski Prospekt/Gostinyj Dwor
Geöffnet: 10.00 18.00, Mo. bis 17.00
Ruhetag: Dienstag
Eintritt: ca. 6,5 Euro
Tel.: 3143448
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Grosser Illustrator und Erzähler
Sein grosses Können als Illustrator, das sich Chagall bereits in jungen Jahren aneignet kann er in der Zwischenkriegszeit bei zahlreichen Buchprojekten, zum Beispiel bei Gogols „Die Toten Seelen“ anwenden. Diese eher unbekannte Seite von Chagalls Werk wird in der Ausstellung durch eine ganze Reihe von Tusche-Zeichnungen, Radierungen und Lithografien dokumentiert.
Obschon sich Chagall der Moderne durch gewisse kubistische Tendenzen annähert, bleibt er ein poetischer Aussenseiter, der das Erzählen in Bildern voller Episoden und Details den stilistischen Experimenten vorzieht. Anstelle von Reduktion und Abstraktion unternimmt er Reisen in die surreale Welt von Traum und Erinnerung.
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Die persönliche Welt, seine Frau Bella, die 1944 stirbt, und seine Familie sind immer wieder kehrende Motive. Nazidiktatur und Krieg zwingen ihn 1940 ins amerikanische Exil, aus dem er erst nach dem Krieg wieder nach Frankreich zurückkehrt, wo er bis zu seinem Tod lebt.
Ganz persönlicher Bezug zur Religion
Chagalls eigene Geschichten werden immer wieder mit religiösen Motiven verwoben. Selbst wenn die Bibelszenen deutlich erkennbar sind, leuchten stets die bekannten Figuren aus der Jugend darin auf - Witebsk ist die ganze Welt.
Neben Figuren, wie der Esel oder der Geigenspieler verbinden Engelsfiguren die beiden Welten. Ihre Flügel verhelfen - ob sichtbar oder nicht - zum Traumflug über die Wirklichkeit.
Der Ausstellung mit insgesamt 65 Bildern und 82 Grafiken gelingt es, mit erstklassigen Exponaten die wesentlichen Schaffensphasen Chagalls zu einem Strang zu verbinden und gleichzeitig zahlreiche Querbezüge hervorzuheben.
(eva/.rufo)
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(Topfoto: Siegmund/.rufo)
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