Moskau. Eine Art Waffenruhe herrscht in Kiew – bis zum 26. Dezember, an dem die „dritte Runde“ der ukranischen Stichwahl ausgetragen wird. Die beiden Kandidaten behandeln sich gegenseitig fast zuvorkommend. Das Leben in der ukranischen Hauptstadt hat sich weitgehend normalisiert. Der Immer-Noch-Regierungschef Viktor Janukowitsch versicherte, er habe mit dem mutmaßlichen Giftanschlag auf den Oppositionsführer Viktor Juschtschenko nichts zu tun.
Ja, er äußerte sogar sein Bedauern darüber und wünschte seinem Gegenspieler gute Besserung. Juschtschenko bezeichnete Verfolgungen der seltenen Janukowitsch-Anhänger in der Westukraine seinerseits in einer Erklärung als „Hexenjagd“ und verurteilte deren Inspiratoren als Provokateure.
In der Kiewer Stadtmitte ist das Protestcamp der Opposition auf eine kleine Zeltsiedlung auf dem Bürgersteig zusammengeschrumpft. Die Banken hoben Beschränkungen für Auszahlungen von Bargeld auf. Man geht wieder arbeiten. Das Gespenst einer Wirtschaftskatastrophe ist gewichen. Im Osten des Landes wurde auch während der Kofrontation gearbeitet. In der Region Lwiw (Lemberg) habe die Opposition militante Juschtschenko-Anhänger dagegen nicht im Griff, heißt es in russischen Medienberichten.
Friede sei mit Euch
Angeblich fordern nationalbewusste Ukrainer ihre Gegner auf, dem Juschtschenko-Rivalen auf der Bibel die Treue öffentlich abzuschwören. Anderenfalls drohten sie, deren Häuser niederzubrennen, heißt es unter Berufung auf Janukowitschs neuen Wahlstableiter Taras Tschornowil. Von transparenten und ehrlichen Wahlen könne unter diesen Umständen keine Rede sein, sagte dieser.
Am Dienstagabend sollten vier neue Videoclips im ukrainischen Fernsehen ausgestrahlt werden, Juschtschenko zusammen mit der bekannten Popsängerin Ruslana und den Klitschko-Brüdern aufgenommen hatte. Der Presse wurde die neue Wahlwerbung in Kiew vorab vorgeführt. Die in organge gehaltenen Videostreifen wurden am Platz der Unabhängigkeit in russisch und ukrainisch aufgenommen. Bezeichnenderweise enden sie mit dem Satz „Friede sei mit euch“. Es sei der „Wahlkampf von morgen“, sagte dazu Juschtschenkos Wahlkampfideologe, Jaroslaw Lesjuk. Man wolle keinen Krieg, sondern friedlichen Aufbau. Ob dieser fromme Wunsch in Erfüllung geht und die Spaltung des Landes ausbleibt, werden die nächsten Wochen zeigen.
Putin hüllt sich in Schweigen
Janukowitsch legte sich vor der Stichwahlwiederholung den Ruf eines vermeintlichen Oppositionellen zu. Der etablierten Mannschaft gehörten der Altpräsident Leonid Kutschma und Juschtschenko an, der ja auch Ministerpräsident gewesen sei, argumentiert Janukowitsch. Er selbst sei der einzige wirkliche Reformer. Ob jemand diesen Gag ernst nimmt, muss bezweifelt werden. Kutschma hat sich unterdessen tatsächlich von seinem gescheiterten Günstling distanziert. Der russische Präsident Wladimir Putin, der vor der ersten und der zweiten Wahlrunde in die Ukraine gereist war, um Janukowitsch zu unterstützen, hüllt sich diesmal in Schweigen.
Juschtschenkos Sieg sei so gut wie sicher, heißt es in russischen Medienkommentaren. Die Giftstory habe er im Grunde gar nicht mehr nötig. Ganz gleich, ob er tatsächlich mit Dioxin vergiftet wurde, sammelt er jetzt Pluspunkte. In Russland wie in der Ukraine wurden zu Unrecht Verfolgte und Geschädigte aber schon immer bemitleidet. Juschtschenko steht dies buchstäbdlich ins Gesicht geschrieben. Spekulationen darüber, ob es Dioxin oder ein anderes Gift war, wenn überhaupt, schwirren auch durch Moskau. Giftexperten haben ihre große Stunde. Die berühmte Maria Medici hätte sicher ihre Freude daran gehabt.
(adu/.rufo)
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