St. Petersburg. In westlichen wie östlichen Medien hat ein wildes Rätselraten um die Hintergründe und Täterkreise der Juschtschenko-Vergiftung eingesetzt. Während sich der Kandidat selbst mit Mutmaßungen zurückhält, schieben manche seiner Vertrauten die Verantwortung für den Dioxin-Giftanschlag in Richtung Moskau: Es war der KGB der UdSSR.
Ein Ermittlungsausschuss des ukrainischen Parlaments wird heute zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten, um über die neuen Entwicklungen in der Vergiftungs-Affäre zu beraten. Kommissions-Chef Wladimir Siwkowitsch forderte Viktor Juschtschenko wie auch seine österreichischen Ärzte auf, dem Ausschuss und den parallel ermittelnden Fahndern der Staatsanwaltschaft umgehend Aussagen und die Unterlagen über die Untersuchungsergebnisse zur Verfügung zu stellen. Wenn dies nicht geschehe, könne dies als Beihilfe zu einem Verbrechen gewertet werden, so der Abgeordnete.
Das Ziel war nicht töten, sondern verkrüppeln
Mitstreiter Juschtschenkos orteten in Interviews mit ausländischen Medien die Giftmischer indessen bereits in einem eigentlich mit Ende des kalten Krieges untergegangenen Reich des Bösen: Sein Assistent Oleg Rybatschuk bezeichnete gegenüber ABC „Spezialisten aus der UdSSR und Leute aus dem KGB“ als Schuldige an Juschtschenkos Erkrankung. Laut Rybatschuk sei Juschtschenko über einen geplanten Giftanschlag gewarnt gewesen. Ziel der Vergiftung sei aber nicht der Tod des Präsidentschaftsbewerbers gewesen. Juschtschenko sollte „zum Invaliden gemacht werden, der nicht mehr in der Lage ist, Wahlkampf zu führen“.
Dass es sich dabei nicht um in der Ukraine lebende KGB-Veteranen handeln dürfte, präzisierte der Rada-Abgeordnete Juri Pawlenko: „Russland agitierte gegen Juschtschenko und hat sich völlig schamlos in die ukrainischen Wahlen eingemischt. Deshalb darf aus der Liste der Hauptverdächtigen der russische Geheimdienst nicht ausgeschlossen werden“, erklärte er in einem Interview mit der „Sunday Times“.
“Agent Orange” gegen Juschtschenko?
Der britische Toxikologe John Henry vermutet, dass es sich bei dem Juschtschenko verabreichten Gift um eine Substanz namens T-2 handelt, die von sowjetischen Giftwaffen-Spezialisten als „Antwort“ auf das von den USA im Vietnamkrieg eingesetzte Entlaubungsmittel entwickelt wurde. Damit wäre der Führer der „orangen Revolution“ in der Ukraine also just durch ein Analog von „Agent Orange“ geschädigt worden.
Juschtschenkos Gegenkandidat Viktor Janukowitsch stritt jede Beteiligung an der Vergiftung Juschtschenkos ab. Er empfinde Mitleid für ihn und wünsche ihm eine schnelle Genesung, erklärte der beurlaubte Premierminister Janukowitsch, der sich inzwischen von Altpräsidenten Leonid Kutschma losgesagt hat. Eine eigene Version der Urheberschaft der Giftattacke wollte er nicht beisteuern. Dies sei Sache der ermittelnden Behörden.
Die USA wie auch die EU erklärten ihre Besorgnis über den Dioxin-Befund seitens der Ärzte Juschtschenkos und forderten eine gründliche Aufklärung der Vergiftung. Ins gleiche Horn stieß auch der ukrainische Ermittlungsausschussvorsitzende Wladimir Siwkowitsch: „Davon, wie ehrlich, offen und operativ wir diese Ermittlung durchführen, hängt unsere politische und internationale Zukunft ab“, sagte er. Das ukrainische Außenministerium sah sich angesichts der offen wie verdeckt bezeugten besonderen Anteilnahme der ganzen Welt am ukrainischen Wahlgeschehen gemüßigt, auf eine schlichte Tatsache nochmals gesondert hinzuweisen: Die Wahl des ukrainischen Staatsoberhauptes am 26. Dezember sei einzig das Recht der Bevölkerung der Ukraine.
(ld/.rufo)
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