Moskau. Wenn der Prozess gegen den russischen Ölmilliardär Michail Chodorkowski so weiter geht, wie heute die Vorverhandlung begonnen hat, ist mit einem schnellen Urteil nicht zu rechnen: Die Staatsanwaltschaft brauchte drei Anläufe, um den Angeklagten mit einer wirklich kompletten Kopie der Anklageschrift zu versorgen. Dann wurde das Verfahren erst einmal auf den 8. Juni vertagt.
Richterin Irina Kolesnikowa muss entscheiden, ob der einstige Chef und heutige Hauptaktionär des Ölkonzerns Yukos – laut „Forbes“ mit geschätzten 15 Milliarden Dollar Besitz Russlands reichster Mann – für bis zu zehn Jahre hinter Gitter kommt. Seit Oktober 2003 sitzt er in Untersuchungshaft.
Chodorkowskis Eltern erschienen heute zu Prozessbeginn im Gerichtssaal, um ihren Sohn moralisch zu unterstützen. „Er glaubt nicht an einen guten Prozessausgang. Aber er wusste, worauf er sich einlässt, als er beschloss, in Russland zu bleiben“, sagte Chodorkowskis Mutter in einer Verhandlungspause. Vorgeworfen werden dem smarten Oligarchen Betrug und Steuerhinterziehung mit einem Gesamtschaden von 1 Milliarde Dollar.
Eines muss man der Richterin lassen: Sie ging das Verfahren äußert pingelig an. Weil aus Chodorkowskis Exemplar der Anklageschrift ein Blatt herausgefallen und erst später nachgereicht worden war, verlangte sie nach einer Neuausfertigung der drei Bände. Kaum war diese angeliefert, stellte sich heraus, dass nun sieben Seiten fehlten. Auf den 8. Juni vertagt wurde das Verfahren dann aber aus anderem Grund: Das Steuerministerium als Nebenkläger erklärte, dass es noch mehr Zeit braucht, um die Anklage zu studieren.
Vielleicht ist es ein gutes Omen für Chodorkowski, dass ihm der Prozess diesmal nicht im Bezirksgericht Bassmanny gemacht wird, wo er bisher bei Haftprüfungsterminen stets verlor. Das Hauptanliegen der Verteidigung vor der Eröffnung des eigentlichen Prozesses kam aber auch erst einmal nicht zur Sprache: Chodorkowskis Anwälte wollen erreichen, dass sein Verfahren mit dem gegen seinem Geschäftspartner Platon Lebedjew zusammengelegt wird. Die Anwälte Lebedjews hatten in dieser Woche bereits einen entsprechenden Antrag gestellt. Auch der Lebedjew-Prozess wurde am Freitag auf den 8. Juni vertagt.
Laut Anklage haben sich Chodorkowski als Vorstandschef und Lebedjew als Direktor der Menatep-Bank gemeinsam 1994 ein Aktienpaket am Düngemittelkonzern „Apatit“ angeeignet. Als Yukos-Verantwortliche sollen beide dann 1999-2000 die Steuerhinterziehungen des Ölkonzerns organisiert haben. Vor wenigen Tagen entschied ein anderes Moskauer Gericht, dass der Konzern deshalb der Steuerbehörde die gewaltige Summe von 99 Milliarden Rubel (ca. 2,8 Mrd. Euro) schuldig ist.
Chodorkowskis Mitstreiter halten diese Vorwürfe für Willkür und konstruiert: Sie glauben, dass es den Behörden darum geht, den aufstrebenden Privatkonzern zu zerschlagen und den Putin-Kritiker Chodorkowski kalt zu stellen. Das für Yukos faktisch den Bankrott bedeutende Steuer-Urteil wird angefochten, kündigte der Konzern an.
(ld+ab/rufo)
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