Von Karsten Packeiser, Moskau. Am Sonntag durften etwa 550.000 Tschetschenen die Entscheidung der Kreml-Führung absegnen und den von Moskau eingesetzten Verwaltungschef Achmed Kadyrow zum Präsidenten wählen. Da alle ernsthaften Gegenkandidaten schon Wochen vor den Wahlen aus dem Feld geräumt wurden, kam das Ergebnis nicht überraschend: deutlich über 80 Prozent der Tschetschenen stimmten für Kadyrow.
Die Herausforderer des Ex-Muftis, deren Namen kaum jemand kannte, mussten sich mit einstelligen Ergebnissen zufriedengeben. In einem ersten Interview nach dem Sieg erklärte Kadyrow, er wolle keinen Sonderstatus für Tschetschenien. „Das wichtigste ist, weitgehende wirtschaftliche Vollmachten im Steuer- und Zoll-Bereich sowie bei der Ausbeutung von Rohstoffen zu erhalten“, sagte er Berichten zufolge. „Ein Großteil der Einnaghmen aus dem Ölverkauf muss in der Republik bleiben.“
Die meisten internationalen Organisationen hatten es abgelehnt, Beobachter nach Tschetschenien zu entsenden, um der Wahlfarce nicht den Anschein einer demokratischen Abstimmung zu geben. Bereits bei dem Referendum über eine neue tschetschenische Verfassung im Frühjahr soll es in Tschetschenien massive Wahlfälschung gegeben haben. Offiziellen Angaben zufolge dagegen gab es während des Urnengangs am Sonntag keinerlei Zwischenfälle, außer, dass in zwei Siedlungen Terroranschläge auf Wahllokale verhindert werden konnten.
Die Präsidentschaftswahlen waren eine weitere Etappe eines Kreml-Plans zur Befriedung der Bürgerkriegsrepublik, in der nach einigen Jahren der de-facto-Unabhängigkeit seit 1999 separatistische Kampfgruppen einen blutigen Guerilla-Krieg gegen die russische Armee und prorussische tschetschenische Milizen führen. Die bislang einzigen Wahlen in Tschetschenien, die auch von internationalen Beobachtern als demokratisch bewertet wurden, brachten 1997 den damals gemäßigten Separatistenführer Aslan Maschadow an die Macht.
Drei einflussreiche und populäre Vertreter der tschetschenischen Diaspora in Moskau hatten sich bereits auf eine Anti-Kadyrow-Allianz geeinigt. Sollte es zu einem zweiten Wahlgang eines der dreien gegen Kadyrow kommen, wollten der Moskauer Hoteldirektor Hussein Dschabrailow, der Geschäftsmann Malik Saidullajew und der tschetschenische Duma-Abgeordnete Aslambek Aslachanow sich gegenseitig unterstützen.
Hinter Ex-Mufti Kadyrow, der im ersten Tschetschenien-Krieg noch selbst zum Heiligen Krieg gegen die Russen aufgerufen hatte, stellte sich zunächst die Kreml-Partei „Einiges Russland“. Hussein Dschabrailow legte dann als erster seine Kandidatur nieder, nachdem ihm die Moskauer Präsidialadministration diesen Schritt nahegelegt hatte. Aslachanow, der Morddrohungen erhalten haben soll, verließ das Rennen, als ihm der Posten eines Präsidentenberaters angeboten wurde. Nur einen Tag später annullierte das Oberste Gericht Tschetscheniens die Kandidatur Saidullajews, weil dieser bei der Registrierung angeblich gefälschte Listen mit Unterstützer-Unterschriften eingereicht haben soll. Kadyrow wird nun gegen sieben völlig unbekannte Mitbewerber antreten und muss keine Konkurrenten mehr fürchten.
Das tschetschenische Presseministerium, dass allen Bewerbern den gleichen Zugang zu Presse und Regionalfernsehen garantieren sollte, wurde von Kadyrow aufgelöst. Bewaffnete Kämpfer der Kadyrow-Leibgarde besetzten das Fernsehzentrum in Grosny, als die Redakteure gegen diesen Schritt protestierten.
Berichten von Bürgerrechtlern zufolge hatte der neue alte Präsident Tschetscheniens dennoch nichts dem Zufall überlassen wollen. Kämpfer seiner berüchtigten Leibgarde sollen im Vorfeld der Wahlen ganze Dörfer eingeschüchtert haben. Siedlungen, in denen es keine Mehrheit für den „richtigen“ Kandidaten geben würde, war eine jener berüchtigten „Säuberungsaktionen“ angedroht worden, in deren Verlauf immer wieder Menschen spurlos verschwinden. „Eine solche Farce hat das moderne Russland bislang noch nicht erlebt“, hatte sich die oppositionelle Moskauer „Nowaja Gaseta“ empört.
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