Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Am Sonntag sind in zwei wichtigen Teilen Russlands die Wähler aufgerufen, neue Verwaltungs-Chefs zu bestimmen: Gewählt wird in der herausgeputzten Repräsentationsmetropole St. Petersburg sowie im von Terror und Machtwillkür gepeinigten Tschetschenien. Die beiden Föderationsgebiete in Nord und Süd könnten unterschiedlicher kaum sein, haben aber eines gemeinsam: An beiden Orten werden den Wählern die Wunschkandidaten des Kreml aufgedrängt.
In St. Petersburg findet eine Stichwahl zwischen zwei Kandidatinnen statt – für die männerbeherrschte russische Politik ein absolutes Novum. Vor zwei Wochen verpasste Valentina Matwijenko, langjährige Vizepremierin für Sozialfragen und gegenwärtig Präsidentenbevollmächtigte für Nordwestrussland, knapp die absolute Mehrheit. Ihre Gegnerin ist Anna Markowa , Vizegouverneurin unter dem im Sommer vorzeitig aus dem Amt gelobten ehemaligen Stadt-Chef Wladimir Jakowlew. Sie kam im ersten Wahlgang auf nur 16 Prozent der Stimmen. Sie wird sich schwer tun, Matwijenkos Vorsprung aufzuholen.
Markowa versucht den Petersburgern klar zu machen, dass nur ihre Wahl eine Gleichschaltung und den Verlust der Selbstständigkeit der stolzen Stadt verhindern kann. Denn Präsident Putin, selbst gebürtiger Petersburger und an der Newa deshalb eine besondere moralische Autorität, hat Matwijenko in aller Offenheit seine Unterstützung ausgesprochen. Entsprechend stehen die meisten Vertreter des politischen und wirtschaftlichen Establishments zu Matwijenko. Viele in Petersburg machen den jahrelangen verbissenen Konflikt zwischen dem Kreml und der Petersburger Regierung unter Jakowlew im „Smolny“ dafür verantwortlich, dass die Stadt in ihrer Entwicklung gegenüber Moskau so deutlich zurückblieb. Auch der staatliche Fernsehsender „Rossija“ agitiert mühsam verdeckt für die „Kandidatin Nr. 1“ – schließlich ist das russische Wahlgesetz bis zur Groteske streng, was Namensnennungen von Kandidaten in den Medien betrifft.
Bisher war es in Russland nicht üblich, dass sich der Präsident bei lokalen Wahlen offen auf die Seite des einen oder anderen Kandidaten schlägt. Die administrative Wahlhilfe für Matwijenko ist aber dezent im Vergleich zu dem, was sich in den letzten Tagen und Wochen in Tschetschenien abgespielt hat: Dort wurden trotz des anhaltenden Gewalt- und Terror-Chaos zuerst ein Verfassungsreferendum und jetzt Präsidentenwahlen angesetzt.
Nur eine demokratisch legitimierte Verwaltung im Lande könnte die Provinz befrieden, so das ursprüngliche Kalkül Putins. Doch mit der Freiheit der Wahl ist es nach vielversprechenden Anfängen nicht mehr weit her: Den Tschetschenen wurde klar gemacht, dass der bisherige Verwaltungs-Chef Achmed Kadyrow so oder so Wahlsieger wird – obwohl dieser im Lande eher gefürchtet als geachtet wird. Der moslemische Geistliche hatte sich 2000 im zweiten Tschetschenienkrieg auf die Seite der „Föderalen“ geschlagen und seine Position als von Moskau eingesetzter ziviler Verwaltungs-Chef seitdem zum Aufbau einer schlagkräftigen Leibgarde aus einigen tausend Mann genutzt.
Zu Beginn der Wahlkampagne gab es durchaus Alternativen zu Kadyrow: Die beiden in Moskau tätigen tschetschenischen Geschäftsleute Malik Sajdullajew und Hussein Dshabrailow sowie Aslambek Aslachanow, der Duma-Abgeordnete der Republik, reichten ihre Kandidaturen. Alle anderen Kandidaten gelten als chancenlos oder rein dekorativ. Doch die drei Diaspora-Vertreter schieden einer nach dem anderen aus: Dshabrailow verkündete vor einem Monat plötzlich, dass er seiner Heimat als Unternehmer mehr Nutzen bringen kann. Beobachter vermuten ein Gentlemens Agreement zwischen dem Kreml und dem Businessman: Der mischt sich nicht mehr in die Politik ein, darf dafür aber beim Wiederaufbau ungestört Geschäfte machen.
Als nächstes zog der Politiker Aslachanow seine Bewerbung zurück: Putin bot ihm einen Posten als persönlicher Berater für den Kaukasus an – offenbar eine unwiderstehliche Perspektive. Einzig Sajdullajew, der im Clan-orientierten Tschetschenien über eine gewisse Machtbasis verfügt, zeigte sich unbeugsam. Auf ihn sei „stärkster Druck“ ausgeübt worden. „Ich weigerte mich. Danach sagte man mir, dass man meine Kandidatur gerichtlich streicht“, so Sajdullajew. So geschah es: Einer Klage wegen Unregelmäßigkeiten bei den zur Kandidatur nötigen Unterschriftenlisten wurde stattgegeben, Sajdullajews Berufung vor dem Obersten Gericht blieb vor wenigen Tagen erfolglos.
Während der Kreml-Apparat im Stillen das Kandidatenfeld räumte, protegiert Putin den treuen Kadyrow noch deutlicher als im Falle Matwijenko: In einer TV-gerechten Audienz klärte er mit ihm die lange herausgezögerte Auszahlung von Kriegsschaden-Kompensationen an die Bevölkerung. Letzte Woche durfte Kadyrow dann im Putin-Gefolge mit zur UN-Vollversammlung nach New York.
Sollten die Tschetschenen – wie die Petersburger im ersten Wahlgang – dem Kreml-Kandidaten dennoch das Gefolge verweigern, gelten Menschenrechtlern 200.000 „tote Seelen“ als dessen Not-Stimmenreservoir. So viele angeblich gar nicht mehr in der kriegsverheerten Republik lebende Menschen sollen bei der erstaunlich hoch ausgefallenen Volkszählung vor einem Jahr auf dem Papier trotzdem angetroffen worden sein, so die Gesellschaft für bedrohte Völker.
Darüber, wie sich Kadyrows unvermeidlicher Wahlsieg auf die geschundene Republik auswirkt, gehen die Prognosen auseinander. Gutes verheißen sie nicht: Entweder versucht Kadyrow mit seiner Garde endgültig die zivile und schliesslich auch die bewaffnete Gewalt zu übernehmen, was in Konflikten mit dem russischen Militär enden könnte. Oder es formiert sich aus seinen zahlreichen, jetzt noch zerstreuten Gegnern in der tschetschenischen Elite eine Opposition, die ihn in die Isolation treibt. Dann könnte Kadyrow das gleiche Schicksal erleiden wie Aslan Maschadow, sein Amtsvorgänger im quasi-unabhängigen Tschetschenien: Der konnte sich gegen Warlords, Clan-Chefs und Moslem-Fanatiker nicht durchsetzen und verlor als Präsident faktisch die Kontrolle über sein Land. Das schlitterte erst in die Anarchie und dann in den zweiten Krieg mit Russland.
(ld/.rufo)
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