Von Karsten Packeiser, Moskau. Als erstes Land mit einer nichtmuslimischen Bevölkerungsmehrheit will Russland der Organisation der Islamischen Konferenz beitreten. Einer Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin zufolge könnte die Organisation Russland zunächst den Status eines Beobachters einräumen. Als Grund für seinen unerwarteten Vorschlag gab Putin bei einem Staatsbesuch in Malaysia an, in Russland gebe mehr Muslime, als in vielen muslimischen Staaten.
Auch, wenn die von Putin ins Spiel gebrachte Zahl von 20 Millionen russischen Muslimen übertrieben scheint: Mindestens zehn Prozent aller Menschen in Russland bekennen sich zum Islam. In Teilen der Wolgaregion und des Nordkaukasus stellen Tataren, Baschkiren, Tschetschenen, Tscherkessen und andere muslimische Volksgruppen die Bevölkerungsmehrheit. In Moskau leben bis zu einer Million Muslime und damit mehr, als in jeder anderen Stadt Europas - von Istanbul einmal abgesehen.
Ende der 90-er Jahren hatte bereits der damalige Premierminister Jewgeni Primakow, ein erklärter Freund des Orient und ehemaliger Prawda-Korrespondent im Nahen Osten, mit einem Betritt zur Islamischen Konferenz geliebäugelt. Zwar führt die russische Regierung einen blutigen Krieg in Tschetschenien, aber in den meisten anderen Landesteilen leben Moslems und Christen teils seit Jahrhunderten friedlich zusammen. Die russischen Muslim-Führer werteten das Beitrittsgesuch deshalb als Anerkennung der bedeutenden Rolle, die der Islam in Russland spielt. Der Vorschlag Putins beweise, dass die russische Führung reale Schritte unternehme, um eine der traditionellen Konfessionen des Landes zu fördern, erklärte Rawil Gainutdin, der Vorsitzende des russischen Muftirates.
Auch die Russische Orthodoxe Kirche stellte sich hinter Putins Pläne. „Es ist ganz natürlich, wenn Russland Mitglied gleich stark in europäischen, als auch in asiatisch-orientalischen Organisationen vertreten ist“, sagte Wsewolod Tschaplin, der stellvertretende Leiter des kirchlichen Außenamtes, dem epd. Die Kirche hoffe darauf, dass Russland als Teilnehmer der Islamischen Konferenz offensiv seine gegen Terrorismus und Radikalismus gerichtete Politik vertreten werde. „Dank seiner einzigartigen Lage und Geschichte könnte Russland ein Vermittler zwischen der westlichen und der orientalischen Zivilisation werden“, so Tschaplin.
Der 1971 gegründeten Organisation der Islamischen Konferenz gehören zurzeit 57 Staaten an. Die Vereinigung hat sich zum Ziel gesetzt, die Solidarität zwischen den Ländern der islamischen Welt stärken und die Interessen von muslimischen Bevölkerungsgruppen zu schützen. Im Nahost-Konflikt nimmt die Organisation, in der das fundamentalistische Königreich Saudi-Arabien eine bedeutende Rolle spielt, eine stark antiisraelische Haltung ein. Sitz des Generalsekretariats ist bis zur „Befreiung“ Jerusalem das saudische Dschidda. Bislang hat zumindest ein Teil der Mitgliedsstaaten offen oder verdeckt die tschetschenischen Kampfgruppen in ihrem Partisanenkrieg gegen die russische Armee und die prorussische Regierung Tschetscheniens unterstützt.
Ein russischer Beitritt könnte die Organisation der Islamischen Konfere nach Ansicht der Moskauer Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ womöglich auch für andere christlich geprägte Länder öffnen. Russland könnte einen Präzedenzfall „für solche Staaten wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien schaffen, wo auch Millionen Muslime leben“, schrieb das Blatt.
(kp/epd)
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