Von Karsten Packeiser, Moskau. Das irakische Regime hat unerwartete Schützenhilfe aus Russland erhalten: Völlig überraschend erklärte der Vorsitzende des Zentralrats der russischen Moslems, Talgat Tadschuddin, den USA und ihren Verbündeten den Heiligen Krieg. Tadschuddin forderte die Gläubigen bei einer Antikriegsdemo auf, Geld zu spenden, um Waffenlieferungen für den Irak zu finanzieren. Politiker und Vertreter anderer Moslemorganisationen zeigten sich geschockt von dem Aufruf. Die Generalstaatsanwaltschaft drohte am Freitag, Tadschuddins Kriegserklärung könne sogar ein Verbot des Zentralrates nach sich ziehen.
„Diese unverantwortliche Erklärung darf nicht ernst genommen werden“, wiegelte der tatarische Duma-Abeordnete Fandas Safiullin ab. „Dies ist nicht die Meinung der russischen Moslems“, sagte der Parlamentarier in einem epd-Gespräch. Zwar würde die Mehrheit der Moslems in Russland die „Aggression der USA“ scharf verurteilen, die Kriegserklärung stelle jedoch eine Diskreditierung des Islam dar, so Safiullin.
Der Aufsehen erregende Auftritt traf auch die russische Führung wie ein Blitz aus heiterem Himmel, denn bisher galt Tadschuddin unter den zerstrittenen russischen Moslem-Führern als bevorzugter Ansprechpartner des Kreml. Die Antikriegsdemonstration in Ufa, auf der der Mufti mit schwingendem Säbel seine Kriegserklärung verkündete, war von der Kreml-Partei „Einiges Russland“ organisiert worden. Auch die orthodoxe Kirche hofierte bislang den als gemäßigt geltenden Geistlichen und wollte den Kriegsaufruf wohl deswegen zunächst auch nicht kommentieren.
Die islamische Geistlichkeit schien die Rollen getauscht zu haben: Tadschuddins ewiger Rivale Rawil Gainutdin zeigte sich als staatstragender Moslemführer. Der Vorsitzende des russischen Mufti-Rates erklärte, unterstütze vorbehaltslos die auf eine friedliche Lösung der Irak-Krise gerichtete Politik von Wladimir Putin. „Wir planen nicht, den USA den Dschihad zu erklären“, erklärte er im russischen Fernsehen. Dabei galt bislang Gainutdins Muftirat als eine Organisation, unter deren Dach auch radikale Islamisten Unterschlupf fanden. Noch im Oktober war der Moslemführer scharf kritisiert worden, weil er die Zerstörung eine orthodoxen Kirche in Tatarstan durch muslimische Extremisten indirekt rechtfertigte.
Im russischen Vielvölkerstaat stellen die vermutlich weit über 10 Millionen Moslems verschiedenen Schätzungen zufolge bis zu zehn Prozent der Bevölkerung. Einige Landesteile, wie der Nordkaukasus und die Teilrepubliken Tatarstan und Baschkirien haben eine muslimische Bevölkerungsmehrheit. Die Moskauer Führung erkennt den Islam gemeinsam mit dem orthodoxen Christentum als eine der „traditionellen Religionen“ Russlands an und konnte im Gegenzug bislang auf weitgehende Loyalität der meisten Moslemorganisationen bauen. Selbst Tschetschenienkrieg hatten die geistlichen Führer der russischen Moslems still gehalten und das Vorgehen der Armee als Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt.
Doch genau die gemäßigte Moskauer Kritik am Irakkrieg geht vielen russischen Moslems nicht weit genug. Während Antikriegs-Demonstrationen in Moskau bestenfalls ein paar hundert ewiggestrige Altkommunisten auf die Straße locken, protestierten in der moslemischen Teilrepublik Dagestan am Freitag bereits 20.000 Menschen. Wie bereits während des Golfkrieges 1991 nennen Familienväter ihre neugeborenen Söhne aus Solidarität mit dem Irak Saddam Hussein.
(epd).
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