Moskau. (aktualisiert 20.30) Auf dem Flughafen von Zürich ist im Zusammenhang mit dem Mord an dem ehemaligen skyguide-Fluglotsen am Donnerstag ein Mann aus Russland verhaftet worden. Der Festgenommene stritt bei einer ersten Vernehmung alle Anschuldigungen ab, aber es gibt handfeste Verdachtsmomente gegen ihn.
Bei seiner Festnahme wurde bei dem Mann ein Zettel mit dem Namen des ermordeten Fluglotsen gefunden, der öffentlich nicht bekannt war. Die Täterbeschreibung, die die Witwe des Ermordeten gab, trifft weitgehend zu: Bart, etwa 50 Jahre, dunkelhaarig, 1 Meter 70 groß. Bei der Vernehmung hat der Mann auch zugegeben, dass seine Frau und zwei Kinder bei dem Flugzeugabsturz am Bodensee am 1. Juli 2002 umkamen. Der Verhaftete soll sich bei einem Besuch am Absturzort ein Jahr nach dem Unglück sehr aggressiv benommen haben, sagte ein Sprecher der Schweizer Ermittler.
Auch wenn die Schweizer Behörden den Namen des unter Mordverdachtes verhafteten 48 Jahre alten Russen nicht nannten, kursierten in Russland bereits Stunden später Mutmaßungen über die Identität des Mannes: Allerdings gibt es in der Namensliste der 69 Opfer aus der baschkirischen Tupolew-154 zwei Familien, die aus Mutter, Tochter und Sohn bestanden. Eine kommt aus dem Kaukasus, eine aus Baschkirien.
Die russische Internetzeitung newsru.com geht davon aus, dass es sich bei dem in der Schweiz festgenommenen Tatverdächtigen um Vitali K. handelt. Er und seine Familie stammen nicht wie fast alle anderen Opfer aus Ufa in Baschkirien, sondern aus Wladikawkas, der Hauptstadt von Nordossetien im Kaukasus. In dem Flugzeug saßen die Tochter Diana (geboren 1998), Sohn Konstantin (geboren 1991) und ihre Mutter Swetlana (geboren 1958).
Als zweiter Name wurde ein gewisser Wladimir S. aus Ufa genannt. Seine Frau Irina, geboren 1964, war Regierungsangestellte und Leiterin der Kindergruppe, die aus Baschkirien nach Barcelona flog – und dazu ihre eigenen, 15 und 13 Jahre alten Kinder Veronika und Wladislaw mitnahm.
Wie die Moskauer „Iswestija“ uin ihrer heutigen Ausgabe berichtete, war ein Jahr nach dem Unglück bei der Trauerfeier in Überlingen und anschließend bei einem Besuch in der skyguide-Zentrale ein Mann mehrfach unangenehm aufgefallen. Unter Berufung auf eine Dolmetscherin, die damals für den skyguide-Chef Alain Rossier übersetzte, berichtete sie von einem bärtigen Mann, der damals in Überlingen Rossier beiseite nahm und ihn scharf danach fragte, wer der Schuldige an der Katastrophe sei. Rossier sei dabei geradezu verängstigt gewesen. Anschließend hätte der Bärtige mit ihm für den nächsten Tag einen Besuch bei skyguide verabredet.
Der Gruppe seien damals Schemen und Sprachaufzeichungen über den Unglückshergang gezeigt worden. Der Russe habe dabei mehrfach die gleiche Frage gestellt: „Ist der Lotse schuld an dem, was passiert ist?“ Eine direkte Antwort darauf habe er nicht bekommen – unter Verweis auf die noch laufenden Ermittlungen. Auch wollte der Besucher unbedingt den betreffenden Lotsen sehen. Auch dies wurde ihm versagt. Nachdem der Mann auf seine noch mehrmals wiederholte Frage nach dem Schuldigen keine Antwort erhalten habe, soll er gesagt haben: „Der Lotse ist ein Schurke und bei uns im Kaukasus reden wir mit Schurken auf unsere Weise“. Daraufhin hätte der russische Besucher den Raum verlassen. Eine Frau aus Ufa, die ebenfalls bei dem Treffen dabei war, sagte gegenüber der „Iswestija“ allerdings, dass das Treffen ohne Skandale abgelaufen sei. „Streit, Tränen und Trauer" habe es gegeben, aber keine Drohungen.
Die K.s gehörten nicht zu der Gruppe aus Baschkirien, sondern flogen auf eigene Faust nach Spanien. Ihre Tickets hatten sie nur wenige Stunden vor Abflug der nur zur Hälfte besetzten Maschine auf dem Moskauer Flughafen ergattert. Vitali K., der als Architekt tätig ist, arbeitete damals in Spanien und erwartete seine Frau und Kinder in Barcelona zu einem gemeinsamen Urlaub. Nach Erhalt der Nachricht über das Unglück flog er sofort nach Zürich und weiter an die Unglücksstelle, wo er als erster Angehöriger eintraf. Wie er später in einem Interview berichtete, identifizierte er seine Tochter Diana noch an Ort und Stelle: „Ich habe sie gleich erkannt. Mein Töchterchen war wie ein Engel vom Himmel gefallen, ihr Körper war fast unversehrt. Dann fand ich ihre Ohrringe.“ K. blieb zehn Tage, bis seine Angehörigen identifiziert und in die Heimat überführt waren. „Mein Leben endete an diesem tragischen Tag, dem 1. Juli 2002. Seitdem lebe ich nur noch in Erinnerungen“, so der unglückliche Familienvater damals.
Der Mord an dem Züricher Fluglotsen hatte in Ufa Bestürzung ausgelöst. "Wir trauern mit der Witwe und den Kindern des Mannes", sagte die Angehörigen-Sprecherin Julia Fedotowa am Mittwoch. Viele Angehörige hatten sich in Ufa gerade zu einem Routine-Treffen der Selbsthilfe-Organisation „Flug 2937“ versammelt, als die Nachricht eintraf.
„Wir hoffen nicht, dass diese Ereignisse sich irgendwie auf die gerichtliche Klärung unserer Sache auswirken“, so die Leiterin der Gruppe, Sulfat Chammatow. Zu diesem Zeitpunkt hofften die baschkirischen Angehörigen noch, dass der Mord in Zürich nicht in Zusammenhang mit ihrem Leid steht. Aber sie konnten natürlich auch nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass nicht jemand durchgedreht ist, der seine ganze Familie verloren hat und dann monatelang mit Rechtfertigungslügen von skyguide konfrontiert war.
Nun können sich die Familien aus Ufa wohl nur damit beruhigen, dass es offenbar niemand aus Baschkirien war, der den Racheakt auf dem Gewissen hat.
(ld+gim/.rufo)
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