Von Karsten Packeiser, Moskau. Inzwischen ist es ein fast vertrautes Bild: Mehrere dutzend Fahnder fuhren am Donnerstag vor der Firmenzentrale des russischen Ölkonzerns Yukos vor und durchkämmten im Verlauf von fünf Stunden erneut die Büros. Offizieller Anlass der Hausdurchsuchung seien Ermittlungen gegen zwei Yukos-Tochterfirmen, denen Steuervergehen vorgeworfen werden, teilte Konzernsprecher Alexej Schadrin mit.
Nach Behördenangaben geht es dabei um einen Betrag von 3,5 Milliarden US-Dollar, die der Konzern am Haushalt vorbeigeschleust haben soll. In Moskau wird inzwischen darüber spekuliert, ob die Kreml-Führung nicht nur die Großaktionäre des Ölkonzerns hinter Gitter bringen, sondern auch den ganzen Konzern in den Ruin treiben will. Der Kurs der Yukos-Aktien sackte am Mittag an der Moskauer Börse um weitere zwei Prozent ab.
Anfang der Woche stufte die internationale Bewertungs-Agentur Standard & Poor´s das Kredit-Rating von Yukos herab, nachdem ein Gericht zuvor zur Gewährleistung der Steuernachforderungen sämtliche Yukos-Aktiva eingefroren hatte. Yukos-Topmanager gingen inzwischen davon aus, dass in einigen Wochen der Bankrott des Konzerns eingeleitet werde, berichtete die Moskauer Tageszeitung „Wremja Nowostej“ unter Berufung auf namentlich nicht genannte Gesprächspartner an der Unternehmensspitze.
Dabei hatte sich der ehemalige Yukos-Chef Michail Chodorkowski erst kürzlich mit versöhnlichen Tönen aus dem Moskauer Untersuchungsgefängnis „Matrosenruh“ zu Wort gemeldet. In einem heiß diskutierten offenen Brief hatte er den superreichen Privatisierungsgewinnlern eine Mitschuld am sozialen Elend in Russland gegeben. Der reichste Häftling der Welt forderte die russische Wirtschaftselite in dem Brief dazu auf, ihren durch unsaubere Methoden erworbenen Reichtum mit der Gesellschaft zu teilen. Außerdem müssten Gegner von Kreml-Chef Wladimir Putin damit aufhören, dessen Legitimität anzuzweifeln.
Bislang gibt es keine Anzeichen, dass Chodorkowskis Reuebekundungen Eindruck auf die Staatsgewalt machen würden. Auch die Beziehungen zwischen Yukos und dem Ölkonzern Sibneft bleiben angespannt. Im vergangenen Jahr hatten die beiden Unternehmen die größte Fusion der russischen Wirtschaftsgeschichte vereinbart, die Yukos-Sibneft zum viertwichtigsten Ölproduzenten der Welt machen sollte. Nachdem Yukos zunehmend in Schwierigkeiten geriet, forderte Sibneft, die Fusion rückgängig zu machen. Die umstrittenen Details sollen vor einem Londoner Gericht ausgefochten werden.
Chodorkowski selbst war im vergangenen Oktober verhaftet worden, nachdem ein Sondereinsatzkommando seinen Privatjet gestürmt hatte. Dem Milliardär, seinem bereits im Sommer verhafteten Stellvertreter Platon Lebedjew und mehreren ins Ausland geflohenen Yukos-Großaktionären wirft die Staatsanwaltschaft Steuerhinterziehung und die Gründung einer „kriminellen Vereinigung“ vor, die durch Betrug während der russischen Privatisierung bereichert habe. Da andere Großkonzerne, die zu Zeiten des russischen Wild-West-Kapitalismus ebenfalls auf zweifelhafte Weise entstanden waren, unbehelligt blieben, gehen russische Oppositionelle von einem politischen Hintergrund des Verfahrens aus. Chodorkowski hatte vor dem Beginn der Yukos-Affäre seine politischen Ambitionen immer weniger verheimlicht und offen Oppositionsparteien gesponsert.
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