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Auf dem Friedhof in Ufa sind die Leichname der meisten Opfer der Flugkatastrophe von Überlingen beerdigt (Foto: Wagner). |
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Dienstag, 15.05.2007
Skyguide: Pannen im Tower bringen 71 Menschen TodMoskau. Schlamperei und Fahrlässigkeit sind die Ursachen für die Flugzeugkatastrophe von Überlingen. 71 Menschen starben im Sommer 2002. Acht Skyguide-Mitarbeiter müssen sich ab heute vor Gericht verantworten.
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Am 1. Juli 2002 waren bei der Ortschaft Überlingen am Bodensee eine Tupolew 154 und ein Fracht-Boeing 757 des Kurierdiensts DHL zusammengestoßen. Die 69 Schulkinder an Bord der Tupolew, die sich auf dem Weg von der Teilrepublik Baschkirien in den Urlaub nach Spanien befanden, und die beiden Piloten des Frachtflugzeugs kamen bei der Katastrophe ums Leben.
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Blutrache für tote Kinder
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Witali Kalojew konnte den Verlust seiner Familie nicht ertragen und beginn Selbstjustiz. Ein Gericht verurteilte den Ingenieur zu acht Jahren Haft (Illustration: newsru.com). |
Fünf Jahre lang dauerten die Ermittlungen. Sie wurden durch einen dunklen Zwischenfall überschattet. Im Februar 2004 verübte ein Hinterbliebener der russischen Opfer Selbstjustiz und erstach den während der Katastrophe diensthabenden Fluglotsen Peter Nilsen vor dessen Haustür. Der russische Bauingenieur Witali Kalojew gab dem Flugsicherheits-Unternehmen Skyguide die Schuld am Tod seiner Frau und seiner beiden Kinder. Er sitzt seit seiner Verurteilung im Jahr 2005 eine achtjährige Haftstrafe ab.
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Nach der Flugzeug-Katastrophe wurde lange über ein Verschulden der russischen Piloten und über mangelhafte Technik spekuliert. In ihrer 23-seitigen Klageschrift weist die Staatsanwaltschaft nun eindeutig dem Flugsicherheitsunternehmen Skyguide die Verantwortung für das Unglück zu. Im Einzelnen ist die Rede von einer vorschriftswidrigen Pause eines Fluglotsen, vom abgeschalteten Kollisionswarnsystem und von defekten Telefonleitungen.
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Zigaretten-Pause bei wenig Verkehr
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Unmittelbar nach der Katastrophe sollte die Schuld den russischen Piloten in die Schuhe geschoben werden (Foto: newsru.com). |
Ab heute müssen sich acht Mitarbeiter des Unternehmens vor dem schweizerischen Bezirksgericht Bülach bei Zürich verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen Pflichtverstöße und Nachlässigkeiten zur Last.
So machte ein Fluglotse im Züricher Kontrollzentrum entgegen der Vorschriften Pause und ließ seinen überforderten Kollegen allein vor den Radarschirmen sitzen. Der 36-jährige dänische Kollege Peter Nilsen wurde hektisch, weil wegen Wartungsarbeiten nicht die gesamte Technik zur Verfügung stand und außerplanmäßig eine weitere Maschine abgefertigt werden musste.
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Kein Telefon, keine Kollisionswarnung
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In der Unglücksnacht funktionierte wegen andauernder Wartungsarbeiten zudem ein Teil der Überwachungstechnik nicht. Das optische Kollisionswarnsystem war ausgeschaltet und auch die Telefonstandleitungen waren defekt, so dass ein Warnanruf der Flugleitstelle in Karlsruhe nicht nach Zürich durchkam. Dass es technische Einschränkungen im Kontrollzentrum in Zürich gab, darüber waren die diensthabenden Fluglotsen im Bilde. Welche Einschränkungen genau das waren das wussten sie hingegen nicht. Zu diesem Ergebnis kommt die Staatsanwaltschaft in ihrer Klageschrift.
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Geduldete Schlamperei
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Der Führungsebene von Skyguide waren die Einschränkungen dagegen in vollem Umfang bekannt. Da das Management des schweizerischen Flugsicherheitsunternehmens sein Wissen allerdings offenbar nur bruchstückweise an die operativen Mitarbeiter weitergab, zieht die Staatsanwaltschaft jetzt auch Vertreter der Führungsebene von Skyguide wegen Fahrlässigkeit zur Verantwortung.
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Außerdem wird dem Management die gesetzeswidrige aber im Unternehmen offenbar geduldete Praxis zur Last gelegt, wonach ein Mitarbeiter bei wenig Verkehr Pausen machen durfte. Diese Praxis war bereits vor dem Unglück von Überlingen von der Schweizer Flugaufsichtsbehörde gerügt worden.
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Deutschland haftet für Schweizer Fluglotsen
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Für die Angeklagten beantragt die Staatsanwaltschaft Freiheitsstrafen zwischen sechs und 15 Monaten auf Bewährung beantragt. Wegen des enormen Interesses von Öffentlichkeit und Medien findet die Verhandlung in der Bülacher Stadthalle statt. Dutzende von Journalisten aus Deutschland und Russland sollen sich angemeldet haben.
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Doch auch nach einer Verurteilung der Angeklagten wird die Katastrophe von Überlingen die Justiz weiter beschäftigen. Denn ein Teil der Hinterbliebenen fordert weiterhin eine angemessene Entschädigung. Die Mehrheit hat bereits einem Vergleich zugestimmt und erhält Geld aus einem gemeinsamen Fonds der deutschen und schweizerischen Regierung sowie des Unternehmens Skyguide.
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Das Konstanzer Landgericht hatte in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil im Jahr 2006 dem deutschen Staat eine Mitverantwortung für das Unglück gegeben.
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Die Richter befanden, dass die Übertragung der Luftraumkontrolle über deutschem Territorium an Skyguide verfassungswidrig sei. Ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag fehle. Deshalb hafte Deutschland für Fehler der Schweizer Fluglotsen und für die verursachten Schäden.
(cj/.rufo/Moskau)
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