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Wodka als Synonym für die russische Lebensart (Foto: Djatschkow/.rufo) |
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Donnerstag, 02.11.2006
Gepanschter Alkohol führt zu Epidemie in RusslandMoskau. Tausende Menschen liegen derzeit in mehreren Regionen Russlands mit einer akuten Lebervergiftung im Krankenhaus. Gepanschter Alkohol ist die Ursache. Politiker fordern nun ein Staatsmonopol auf den Alkoholverkauf.
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Immer neue Fälle werden aus der ostsibirischen Region Irkutsk gemeldet. Die Zahl der Vergifteten ist inzwischen auf 1.200 gestiegen, bei über 200 von ihnen wird der Zustand als kritisch eingestuft. 40 Menschen starben. In den Städten Angarsk und Usolsk musste wegen der grassierenden Epidemie gar der Notstand ausgerufen werden.
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Über 5.000 Vergiftete und knapp 300 Tote in zwei Monaten
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Ähnliche haarsträubende Statistiken meldet die Uralregion Tscheljabinsk: 1.091 Krankenfälle und sogar 66 Tote. In der kleinen nordwestrussischen Provinz Pskow an der Grenze zu Estland wurden bislang über 500 Kranke und 19 Tote gemeldet. In Belgorod, an der Grenze zur Ukraine, wurden seit August fast 1.000 Menschen Opfer des gepanschten Alkohols, 48 von ihnen starben.
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Die Liste ließe sich fortsetzen. Das Innenministerium berechnete, dass sich in den letzten zwei Monaten 5.1000 Menschen vergiftet haben, 300 Fälle hatten letalen Ausgang. Die Ursache ist in allen Fällen die gleiche: gepanschter Alkohol. Doch woher der Stoff stammt und wie er gleichzeitig in 14 russischen Regionen auftauchte, ist unklar.
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Staatsmonopol gegen Alkoholpanscher gefordert
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Politiker schlagen Alarm. Der Vorsitzende der Duma, Boris Gryslow, forderte ein vollständiges Staatsmonopol für den Verkauf von Alkohol. Nur so könne der weitere Handel mit Fusel-Wodka unterbunden werden, meinte er. Zuvor hatte schon der Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow, in diese Richtung argumentiert.
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Dabei haben die staatlichen Reglementierungen auf dem Alkoholmarkt seit Jahresbeginn nicht unbedingt zu einer Verbesserung der Lage geführt. Das vollautomatisierte Erfassungssystem EGAIS sollte die gesamte Alkoholproduktion in Russland transparent machen und die illegale Produktion des Flüssigbrotes trocken legen.
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Pleiten, Pech und Pannen bei der Einführung eines Kontrollsystems
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Zahlreiche Pannen bei der Einführung sorgten praktisch für den gegenteiligen Effekt. Nach Angaben der Wirtschaftszeitung Wedomosti verlor der Staatshaushalt in diesem Jahr etwa 15 Mrd. Rubel (440 Mio. Euro), während die illegale Produktion um etwa 10 Mrd. Rubel (290 Mio. Euro) anstieg. Wir wollten das Beste, doch es kam wie immer, pflegte der russische Ex-Premier Viktor Tschernomyrdin in solchen Situationen zu sagen.
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Denn die Gewinner waren die Hersteller von Fuselalkohol, die technischen Alkohol mit Wasser verdünnten und so unschlagbar im Preis, besonders nach dem auftretenden Alkoholdefizit im Sommer ihre Produktion steigern konnten. Als die Behörden auch den Umsatz technischen Alkohols verstärkt unter Kontrolle nahmen, stiegen die Alchimisten auf eine Rezeptur mit synthetischem Alkohol um, der noch giftiger ist als der technische Alkohol aus Frostschutzmitteln.
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Epidemie fällt statistisch kaum ins Gewicht
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Folge ist eine seit Wochen andauernde Epidemie in den russischen Regionen, wo die illegale Ware teilweise sogar unter anderem Label in die Regale kleiner Geschäfte und auf die Märkte gelangte. Wie, darüber rätselt die Polizei noch. Immerhin, die Behörden meldeten bereits die ersten Erfolge und Festnahmen. Dabei handelt es sich in der Regel um kleine Verkäufer. Die Hintermänner des großen Geschäfts bleiben vorerst im Dunkeln.
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So werden auch die Vergiftungen weiter gehen. Statistisch gesehen ist die derzeitige Epidemie sowieso nichts besonderes. Im vergangenen Jahr starben an den Folgen gepanschten Alkohols immerhin knapp 36.000 Menschen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres konnte die Zahl auf immerhin 17.000 Opfer gesenkt werden. Die Zahl ist immer noch zu hoch, um diese Senkung als Erfolg feiern zu können.
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Insgesamt fordert der Alkohol bis zu 700.000 Tote im Jahr
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Dass nicht nur gepanschter, sondern auch legaler Alkohol auf Dauer gesundheitsschädigend ist, belegen die Zahlen, die der stellvertretende Vorsitzende des Duma-Komitees für Gesundheitsfragen, Nikolai Gerassimenko, diese Woche vorlegte. Demnach sterben an den Folgen von Alkoholmissbrauchs und den mit ihnen verbundenen Krankheiten in Russland jährlich 550.000 700.000 Menschen.
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Mit anderen Worten, die jetzige Vergiftungswelle fällt da kaum ins Gewicht. Es müssen grundsätzliche Änderungen im Trinkverhalten der Bevölkerung erreicht werden, um eine Gesundung des Landes zu erreichen. Ein staatliches Monopol allein wird hier wohl nicht ausreichen.
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(ab/.rufo)
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