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Die Diskussionen beim deutsch-russischen Jugendparlament in Jekaterinburg waren ein interkultureller Händedruck (Foto: Bail/.rufo) |
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Montag, 26.07.2010
Jugendparlament Jekaterinburg: Mut für MeinungsfreiheitJekaterinburg/Bamberg. "Mit nur einer Hand lässt sich kein Knoten knüpfen." Dieses russische Sprichwort bringt auf den Punkt, was die Teilnehmer des 6. Deutsch-Russischen Jugendparlaments letzte Woche in Jekaterinburg erleben durften.
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Wer sich anfangs noch in Sicherheit wiegte und glaubte, der geruhsame parlamentarische Prozess werde ihm wohl keine außergewöhnlich großen Anstrengungen abverlangen, hatte weit gefehlt.
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Am eigenen Leibe und zu Lasten des persönlichen Schlafbedarfs erfuhren die 50 deutschen und russischen Jugendlichen, wie ein politisches Organ unter Zeit- und Leistungsdruck eventuelle Hindernisse schnell, aber demokratisch, beseitigt.
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Denn zwischen ausuferndem Brainstorming in den Ausschüssen und dem präzisen 8-seitigen Ergebnispapier lag für die Jungparlamentarier eine sechstägige Reise in die Kultur der Anderen.
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Konfrontation, Kommunikation, Kompromiss
Und die fand sich manchmal quasi am anderen Ende des Kontinents. Das wurde bereits am ersten Abend deutlich, als die Jungparlamentarier (kurz: JuPas) auf dem Teppichboden des hoteleigenen Saals "Newa" ihre Herkunftsorte in einer lebendigen Landkarte darstellten.
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Da trennten Kaspar aus Trier zwar nur wenige Meter von Julija aus Irkutsk; die reelle Entfernung zwischen der alten Römerstadt an der Mosel und der ehemaligen Kosakenfestung am Baikalsee beträgt jedoch über 6000 Kilometer.
Passend dazu auch der Ort der Diskussionen: Jekaterinburg liegt an der Grenze zwischen Europa und Asien, zwischen dem europäischen Teil Russlands und Sibirien.
Distanzen überwinden, die gemeinsame Zukunft gestalten auf diese Formel gebracht war das Jugendparlament ein voller Erfolg: Meinungsverschiedenheiten wurden (nicht immer friedlich) ausdiskutiert, man zog alle Sprachregister (Russisch, Deutsch, Englisch, Französisch) und erläuterte erst zaghaft, dann vertrauter die kulturellen Differenzen.
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Hans-Friedrich von Ploetz, Geschäftsführer der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (SDRJA) |
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Zu guter Letzt konnte nach einer heißen Debatte bis tief in die Nacht sogar ein beachtenswertes Statement zur Toleranz gegenüber Homosexualität Eingang in das finale Ergebnispapier finden, das später auch dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und der Bundeskanzlerin Angela Merkel überreicht wurde.
Meinungsfreiheit fordert Mut
Eine "Bühne der freien Rede", eine "Schule der Zivilgesellschaft" möchte das Jugendparlament sein.
Organisator Hans-Friedrich von Ploetz, Geschäftsführer der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (SDRJA), erinnert sich an geradezu "romantische" Diskussionen im Plenum und viele bewegende Momente seit dem ersten Jugendparlament im Jahre 2005.
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Doch hinter schönen Worten stehen oft auch handfeste und zukunftsweisende Überzeugungen: Russische und deutsche Jungparlamentarier jeglicher politischer Couleur stellten sich in den Beratungen der Herausforderung, parteipolitische Grenzen zu überwinden, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu finden.
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Heftige Diskussionen um einen Versuch, die Meinungsbildung zu gängeln
Ein russischer Organisator missverstand sich als Kontrolleur und Meinungsbildungsorgan, indem er von mehreren russischen Teilnehmern verlangte, nachträglich ihre Zustimmung zu den vorher bereits verabschiedeten Forderungen über Toleranz gegenüber Homosexuellen zurückzuziehen. Anderenfalls, so drohte er angeblich, müssten widerborstige JuPas mit sofortiger Abreise und negativen Konsequenzen für ihre künftige Auslandsreisen rechnen.
Dieser Versuch, die Meinungsbildung zu gängeln, löste heftige Diskussionen aus. In mehreren Wortbeiträgen, vor allem von deutscher Seite, wurden liberale demokratische Freiheits- und Bürgerrechte zu Recht verteidigt. Denn wie soll dem Deutsch-Russischen Jugendparlament in Zukunft ein immer wichtigerer Status eingeräumt werden, wenn seine Mitglieder nicht frei beraten dürfen und sich möglicherweise sogar unter Druck gesetzt fühlen?
Ein von 41 JuPas unterzeichneter Antrag verurteilte schließlich jegliche Beeinflussung der Teilnehmer "durch Behörden oder Administrationen beider Seiten" scharf.
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Evolution statt Revolution
Um die individuelle Freiheit der Teilnehmer zu garantieren, wird sich eine deutsch-russische AG daran setzen, bis zum nächsten Jugendparlament die Geschäftsordnung kugelsicher zu gestalten und den geordneten Ablauf der Sitzungen zu optimieren.
Auf diesem Weg sollen die Rahmenbedingungen die Einhaltung demokratischer Regeln garantieren und vermeiden, dass am Ende Entscheidungen durch Beeinflussung von außen herbeigeführt werden.
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Die deutsch-russischen Beziehungen revolutionieren wird das Jugendparlament natürlich trotzdem nicht. Doch es setzt am richtigen Punkt an: Einer wirkungsvollen zukünftigen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland muss ein gegenseitiges Verständnis der künftigen "Kollegen" vorausgehen.
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Diese interkulturelle Kompetenz wird durch Jugendaustausch quantitativ und qualitativ gesteigert und lässt ein Netzwerk entstehen.
Bleibt zu hoffen, dass dieses Netzwerk immer weiter wächst und somit in naher Zukunft ein stabiles Fundament für die deutsch-russischen Beziehungen darstellen kann.
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Martina Bail, 21, Studentin der Politik- und Sozialwissen-schaften am Pariser Institut d Etudes Politiques (IEP), verbringt ihr 3. Studienjahr in Sankt Petersburg
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