London/Bischkek. Die neuen und zugleich alten Macher in Bischkek blicken schwierigen Zeiten entgegen. Zum einen gilt es, das Land zusammenzuhalten und als integrative Kraft zu agieren. Zum anderen müssen jedoch auch für Stabilität und Sicherheit unerläßliche Bündnisse eingegangen werden. Die zentralen Konfliktpunkte sind zunächst einmal relativ offenkundiger Natur.
Die Wirtschaft darf durch die Tumulte der letzten Wochen keinen bleibenden Schaden nehmen. Die Appelle Bakijews an die Bauern des Landes, umgehend mit der Saat zu beginnen, verdeutlichen nur einen kleinen Teil der Mammutaufgabe, vor der die Regierung steht.
Im selben Rahmen muß ein Abwandern der wirtschaftlich so wichtigen russischen Minderheit verhindert werden. Des weiteren wird die neue Regierung zweierlei Meßlatten angelegt bekommen: Inwieweit können regionalpolitische Faktoren mit in die Gestaltung neuer Bündnisse einberechnet werden und – vielleicht für Stabilität und innere Kohäsion noch wichtiger – inwieweit wird man die wirtschaftlichen Eliten, meist Günstlinge Akajews, mit in die Gleichung einbeziehen können?
Parlamentskrise beendet, Bündnisse wegen geschmiedet
Das parlamentarische Patt der ersten Tage nach der Revolution ist beendet. Die beiden alten Parlamente (Ober- und Unterhaus) lösten sich am Montag (28. März) auf und werteten somit die neue – am 27. Februar diesen Jahres unter umstrittenen Verhältnissen gewählte – Volksvertretung zur alleinigen Legislative auf. Für viele Menschen, die der Protest gegen die gefälschten Wahlen erst auf die Straße gebracht hatte, bedeutete dies Hochverrat.
Nichtsdestotrotz hatten Bakijew und die Interimsregierung keine andere Möglichkeit. Entgegen weitzitierten Pressemeldungen erkannte die Zentrale Wahlkommission dem neuen Parlament nämlich die Legitimität nicht ab. Somit wäre eine Auflösung der neuen Kammer verfassungswidrig gewesen – und hätte die frisch gewählten, einflußreichen Parlamentarier (unter ihnen viele Geschäftsleute) gegen die Interimsregierung aufgebracht.
Es zeigt sich wieder, daß die ‚neuen’ Bekannten an der Spitze Kirgisiens ausgebuffte Polit-Profis sind, welche die Regeln des Spieles anstandslos beherrschen.
Die Russen bleiben...
Alexander Kulinski, Geschäftsführer des beliebten Pyramida-TV Fernsehsenders und eloquenter Talkshow-Gastgeber, gilt als Sprachrohr der russischen Minderheit in Kirgisien. Seine Einschätzung der Lage ist vielversprechend. Es werde wahrscheinlich keinen Massenexodus der in Kirgisien lebenden Russen geben. Er fügte hinzu, daß in dieser Angelegenheit auch viel von den Beziehungen zwischen der neuen Regierung in Bischkek und dem Kreml abhängig wäre. Daher sei es als ein positives Zeichen zu lesen, daß sich Bakijew mit Putin zusammen auf eine Fortsetzung enger strategischer Bindungen abgesprochen hat.
...die Akajew-Oligarchen auch
Einer der wichtigsten Faktoren wurde bis hierhin ausgeklammert: Was geschieht mit Askar Akajew? Er spricht von einem ‚unrechtmäßigen Putsch’, der ihn via Kasachstan zur Flucht nach Moskau drängte. Sich noch immer als legitimen Präsidenten Kirgisiens bezeichnend, scheint er inzwischen bereit, unter gewissen Umständen seinen Rücktritt zu verkünden. Ein nicht zurückgetretener Präsident, der aus dem Ausland Unruhe und vor allem Unsicherheit für Kirgisien bedeuten würde, liegt nicht im Interesse der Interimsregierung.
Wo ist Akajew besser – im Lande oder außerhalb ?
Bakijew und auch Kulow sendeten diesbezüglich jedoch keine einheitlichen Töne an die Adresse ihres ehemaligen Chefs: „Eine Garantie für seine persönliche Sicherheit geben wir gerne“, so Kulow während einer Pressekonferenz am Mittwoch. Bakijew hingegen sprach am gleichen Tag davon, daß es noch ‚zu früh für eine Rückkehr Akajews sein könnte’. Letzten Endes werden die ‚Neuen’ jedoch einen Kompromiß aushandeln, der Akajew überaus wahrscheinlich Immunität gewähren wird. Daß Bakijew damit einen Drahtseilakt vornimmt, scheint klar. Dennoch braucht es diese Töne.
Fakt ist, daß die Wirtschaft Kirgisiens in den Händen einiger weniger Leute ist. Vielzitiert ist das wirtschaftliche Engagement des Akajew-Clans höchstselbst.
Nahezu alles, was in diesem armen, isolierten Land an Geschäften zu machen ist, kann über zwei, vielleicht drei Ecken zu Akajews engstem Kreis zurückverfolgt werden.
So sind zum Beispiel Zigarettenindustrie, Treibstoffhandel und Mobilfunk im Besitz von Familienmitgliedern bzw. loyalen Mitstreitern des de jure noch amtierenden Präsidenten.
Auch im Umgang mit diesen traurigen Wahrheiten zeigen sich die ‚neuen’ jedoch äußerst clever: Gerüchte über eine mögliche Umverteilung des Eigentums weisen sie inzwischen offenkundig von sich. Wenn, dann sollten sich unabhängige Gerichte dieser weitverbreiteten Äußerungen annehmen, meinte Kulow noch in seiner Funktion als Sicherheitschef.
Der moderate Kurs gegenüber den Wirtschaftseliten wird zweifellos viele Oppositionelle und Demonstranten der letzten Woche verprellen.
Zum Leidwesen der neuen Macher jedoch ist das Geflecht der Besitzstände so undurchsichtig, daß ein staatlicher Eingriff das fragile Machtgefüge in Bischkek leicht zerbrechen könnte. Die Interims-Administration setzt hier augenscheinlich wieder auf die Stabilitätskarte. Im Moment kann man jedoch noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie damit einen strategischen Fehler begangen hat und den Wolf im Schafspelz toleriert.
Die Analyse wird fortgesetzt
Über den Autor:
* , 23, ist der Herausgeber von Thinking-East, einem Online-Magazin, welches Berichte junger Menschen aus Zentralasien veröffentlicht. 2004 arbeitete Paarmann bei der International Foundation for Election Systems in Bischkek und verschaffte sich Einblicke in die politische und wirtschaftliche Situation vor Ort. Der Autor studiert Wirtschaftswissenschaften und Entwicklungssoziologie in London.
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