Von Karsten Packeiser, Moskau (Aktualisiert um 18:00). Die kirgisische Revolution hat gesiegt, noch bevor die Opposition sich darüber einigen konnte, ob sie nun eine Tulpen- oder eine Zitronenrevolution will. Der kirgisische Präsident Askar Akajew flüchtete mit seiner Familie allem Anschein nach per Hubschrauber ins benachbarte Kasachstan. In Moskau warnte Duma-Vorsitzender Boris Gryslow vor Einmischung.
Der außenpolitische Sprecher des Föderationsrates, Michail Margelow, erklärte es dürfe keine militärische Intervention Russlands geben – es sei denn, die legitime Regierung bitte um Hilfe.
Diese Bitte um – wie es früher hieß – brüderliche Hilfe dürfte aber ausbleiben. Hatte doch Askar Akajew seinen Miliztruppen, die das Regierungsgebäude heute fast kampflos aufgaben, keinen Schießbefehl gegeben. Und auch mit den neuen Machthabern in Bischkek wird Moskau leben können.
Das gilt insbesondere für den Oppositionsführer Felix Kulow, der heute nach vierjähriger Haft aus dem Gefängnis befreit wurde. Felix Kulow ist auch in Moskau kein Unbekannter. Er war Bürgermeister der Hauptstadt Bischkek, Vizepräsident unter Akajew – und Geheimdienstchef. Ausschlaggebend war heute, dass die Sicherheitskräfte zum großen Teil ins Lager der Akajew-Gegner überliefen. Dennoch bleibt die Zukunft der mittelasiatischen Republik völlig ungewiss.
Im Laufe des Tages überschlugen sich die Ereignisse in Bischkek. Mehrere tausend Menschen hatten sich auf dem Platz vor dem kirgisischen Weißen Haus versammelt. Dort hatten sich Gegner und Anhänger Akajews eine Straßenschlacht geliefert, die mit dem Sturm des Regierungshauses endete, gegen den die Sicherheitskräfte keinen nennenswerten Widerstand mehr leisteten.
Akajew gab keinen Schießbefehl
In den vergangenen Tagen hatte die Opposition bereits die Macht in den Städten Osch und Dschalal-Abad im Süden des Landes übernommen. Akajew, der lange als „demokratischster“ und intellektuellster Staatschef Zentralasiens galt, konnte sich offenbar nicht dazu durchringen, seinen Polizisten einen Schießbefehl zu geben. Noch während der Demonstrationen am Regierungsgebäude tauchte der ehemalige Vorsitzende der kirgisischen Akademie der Wissenschaften zunächst unter.
Russland, dass Akajew bislang unterstützt hatte, äußerte sich offiziell zunächst nicht zum Umsturz in der GUS-Republik. Der nationalistische Duma-Politiker Dmitri Rogosin sprach von einer weiteren Niederlage der russischen Politik. Die Kreml-Führung verfolge die Entwicklung in dem mittelasiatischen Land “nur im Fernsehen” und habe keine Möglichkeit mehr, die Lage zu beeinflussen. Noch kurz vor dem Umsturz hatte das russische Staatsfernsehen die Opposition als “islamische Fundamentalisten” bezeichnet.
Drogenhändler, vom Westen finanziert
Auch Akajew hatte noch vor einigen Tagen den Oppositionsführern vorgeworfen, sie seien in den Drogenhandel verwickelt. Zudem seien die regierungsfeindlichen Proteste vom Westen finanziert. Allerdings hat der Umsturz in Kirgisien bislang einen weniger ausgeprägt antirussischen Hintergrund als die Machtwechsel in der Ukraine und zuvor in Georgien.
Im Spannungsfeld zwischen dem übermächtigen Nachbarn China, islamischen Fundamentalisten, die in den 90-er Jahren im Süden des Landes einen regelrechten Kleinkrieg mit der Zentralregierung in Bischkek begannen, und dem einstigen Großen Bruder Russland wird Kirgisien auch in Zukunft die Verbindungen zu Moskau nicht abbrechen wollen. Allerdings berichteten Augenzeugen per Telefon und Internet an russland-aktuell, am Donnerstag bereits eine Reihe von Übergriffen auf Menschen mit russischem Aussehen.
Mittelasiens liberalster Autokrat
Bislang galt Kirgisien neben den anderen GUS-Republiken Mittelasiens nicht nur als ein verhältnismäßig liberales, sondern auch als relativ prorussisches Land. Russisch war auf Anregung Akajews zur zweiten Staatssprache aufgewertet werden. Russland unterhält nach wie vor mehrere Militärobjekte in Kirgisien, neben der Luftwaffenbasis Kant auch ein Testgelände für Torpedos am Gebirgssee Issyk-Kul und eine Mess-Station, die weltweit Atomtests registriert. Die russische Minderheit, die etwa 12 Prozent der Bevölkerung stellt, hatte mehrheitlich das Akajew-Regime unterstützt.
Nach dem Umsturz vereinbarten die Oppositionsführer bereits die Bildung einer Übergangsregierung und die Vorbereitung von Neuwahlen. Anders als in Georgien und der Ukraine fehlt es der kirgisischen Opposition bisher auch an einem allgemein anerkannten charismatischen Führer. Neue Spannungen zwischen verschiedenen Clans und zwischen ethnischen Kirgisen und Usbeken sind daher nicht auszuschließen.
Süden gegen Norden, Kirgisen gegen Usbeken
Derzeit gibt es mindestens zwei Personen, die um die Nachfolge Akajews rivalisieren. Sowohl der Ex-Premierminister Kurmanbek Bakijew, als auch die ehemalige kirgisische Botschafterin in Tiflis und London, Rosa Otunbajewa kommen aus dem wirschaftlich rückständigen, ethnisch mehrheitlich usbekisch Süden des Landes.
Akajews ehemaliger Vizepräsident Felix Kulow habe das Charisma, um die Opposition und Kirgisien als Ganzes zu einigen, sagte der russische Politologe Andranik Migranjan dem Radiosender “Echo Moskaus”. Kulow war im Winter 2001 wegen Finanzmachenschaften zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, nachdem er ins Lager der Opposition übergewechselt war. Am Donnerstagnachmittag wurde er aus der Haft befreit. Kulow hat möglicherweise nicht nur Charisma, sondern auch den nötigen Einfluss: Als Vizepräsident und Geheimdienstchef war er seinerzeit zugleich Kurator des gesamten kirgisischen Militärs.
(kp/gim/.rufo)
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