Moskau. Der morgige Samstag ist Protesttag in Moskau: Auf dem 109 Kilometer langen, die Stadt umschliessenden, Autobahnring wollen LKW-Fahrer in einer Kolonne aus 150 Lastzügen für niedrigere Benzinpreise demonstrieren. Ebenso am Samstag soll die Moskauer Innenstadt durch insgesamt 19 Protestaktionen, die sich gegen den fortschreitenden Sozialabbau richten, lahmgelegt werden.
Begonnen hatten die Protestaktionen in nahezu allen größeren Städten Russlands bereits am Donnerstag. Der kommende Samstag wird dann den Höhepunkt bilden. Wie schon seit Wochen steht dabei die Kompensation kostenloser Sozialleistungen durch Geldzahlungen in deren Mittelpunkt.
An den Protesten werden nicht nur Rentner und Invaliden, sondern auch pensionierte Armeeoffiziere teilnehmen. Aktive Soldaten bleiben den Aktionen - zunächst – fern. Sie würden sich strafbar machen.
Bei einer Umfrage des Radiosenders Echo Moskwa meinten fast 92 Prozent der Zuhörer, die Äußerung des Verteidigungsministers Sergej Iwanow, dass die Reform die finanzielle Lage der Armeeangehörigen nicht beeinträchtigt habe, stimme nicht.
Hungerrenten
Ein General a.D., der nach eigenen Worten „für sich keine Häuser gebaut“ habe, muss seine Familie von 6000 Rubel (136 Euro) Rente ernähren. Fast ein Drittel davon muss er für Miete und Heizung ausgeben. Er warf der Landesführung vor, die Armee bewusst zerstören zu wollen. Dann wolle sie „als Reaktion auf Unruhen“ hart durchgreifen. Anders ließe sich die umstrittene Sozialreform ansonsten nur durch unvorstellbare Dummheit der Regierenden erklären, so der General. Tatsächlich werden gewöhnliche „zivile“ Renter, die keine Kinder als Unterstützer haben, dem Hungertod ausgeliefert. Bislang hatten sie zumindest das Recht auf Vergünstigungen bei Mieten, Fahrpreisen und Medikamenten. Das Recht auf kostenlose medizinische Behandlung, das alten Leuten im Notfall das Überleben sicherte, wird durch eine kleine Pauschale für jedermann ersetzt, die die bisherigen Sozialleistungen aber nicht kompensieren kann.
Wahnsinnige Politik
Auch der Kinderarzt Leonid Roschal, der durch seinen Einsatz bei den Geiselnamen im Moskauer Musicaltheater und in Beslan weltweit bekannt wurde, wandte sich gegen die geplante Gesundheitsreform. „Ich bin gegen die jetzige wahnsinnige Politik bei der Umorganisierung des Gesundheitswesens“, sagte er der Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“. Der Anteil der Ausgaben für den Gesundheitschutz am Bruttosozialprodukt sei von 3,1 Prozent im Jahr 2002 auf 2,7 Prozent im vorigen Jahr zurückgegangen. Für 2007 seien 2,4 vorgesehen.
Kein Einlenken
Es gibt derweil keine Anzeichen für ein Einlenken der Behörden. Nur beim Benzinpreis zeichnet sich Bewegung ab. Der für Reformen zuständige Vizeregierungschef Alexander Schukow sagte in einem Fernsehinterview, einiges deute darauf hin, dass man es mit einer Kartellabsprache der Hersteller zu tun habe. Landesweit haben bisher rund eine halbe Million Menschen gegen Benzinpreiserhöhungen protestiert.
(adu/.rufo)
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