Von Karsten Packeiser, Moskau. Nach dem blutigen Ende des Geiseldramas von Beslan sind sowohl die russischen Staatsmedien, als auch die Informationspolitik der Behörden in die Kritik geraten. Präsident Wladimir Putin erklärte bei einem Treffen mit ausländischen Journalisten, die Verantwortlichen für Pannen während der dramatischen Ereignisse ermitteln zu wollen.
Die russische Presse äußert sich unterdessen wenige Tage nach dem Geiseldrama zunehmend kritischer über die staatliche Informationspolitik. „Chronik der Lügen“ titelte die auflagenstärkste Moskauer Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“. Niemand könne ernsthaft glauben, dass die Behörden nicht von Anfang an das ganze Ausmaß der Ereignisse erkannt hätten, als offiziell noch von 354 Geiseln die Rede war, so das Blatt.
Die beiden staatlichen Fernsehsender hatten es am Freitag nicht für nötig gehalten, ihr Programm zu unterbrechen. Als die Kinder und Eltern von Beslan um ihr Leben rannten, lief bei „Rossia“ die Sendung „In der Welt der Abenteuer“. Auch die offiziellen Meldungen über eine große Gruppe arabischer Söldner innerhalb der Geiselgangster klingen zunehmend unglaubwürdig. Die ständig wiederholten offiziellen Versicherungen, ein Sturm der besetzten Schule von Beslan sei niemals geplant worden, werden inzwischen dagegen von immer mehr Zeugen bestätigt.
Georgisches Kamerateam noch immer in Haft
Auch in Nordossetien reagierten die Behörden nervös auf Presseberichte. Geheimdienst-Mitarbeiter beschlagnahmten Fernsehaufnahmen von den Leichen. Zwei Mitarbeiter des georgischen Fernsehsenders Rustawi-2 wurden am Samstag in Beslan während einer Straßenumfrage verhaftet, da sie angeblich illegal die georgisch-russische Grenze überquert hatten, und waren auch am Dienstagabend noch in Haft. Nach Ansicht des Senders waren jedoch nicht fehlende Papiere, sondern die kritischen Berichte der Korrespondentin Nana Leschawa Ursache der Festnahme.
Raf Schakirow, Chefredakteur der Moskauer „Iswestia“, musste offenbar auf Druck der Zeitungseigentümer von seinem Posten zurückgetreten. Die ganz dem Geiseldrama von Beslan gewidmete Ausgabe von Samstag sei den Herausgebern „zu emotional und plakativ“ gewesen, sagte Schakirow. Am Samstag hatte die „Iswestia“, die mehrheitlich zur „Prof-Media“-Holding des Kreml-nahen Milliardärs Wladimir Potanin gehört, unter anderem großflächige Fotos von Kinderleichen abgedruckt.
Zwei prominente oppositionelle russische Journalisten erreichten Beslan gar nicht erst. Die Korrespondentin der Kreml-kritischen Wochenzeitung „Nowaja Gaseta“, Anna Politkowskaja, wurde auf dem Weg nach Südrussland mit einer mysteriösen Vergiftung in lebensbedrohendem Zustand ins Krankenhaus gebracht. Der „Radio Liberty“-Reporter Andrej Babizki wurde auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo in eine offenbar von Sicherheitskräften provozierte Rangelei verwickelt. Statt aus Beslan zu berichten, verurteilte ihn ein Moskauer Gericht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zu fünf Tagen Ordnungshaft .
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