Moskau. Als die Väter zu den Waffen griffen, war das tragische Ende nicht mehr abzuwenden, berichtet Ruslan Auschew. Der inguschetische Ex-Präsident hatte als Chefunterhändler kurz zuvor noch 26 Geiseln aus der Schule geholt. Im Interview mit der Nowaja Gaseta liefert er ein Protokoll der Ereignisse aus erster Hand. Im Wortlaut bei russland-aktuell
Frage: Ist es wahr, dass gegen 17 Uhr Verhandlungen stattfinden sollten? Ist es wahr, dass den Geiselnehmern eine Videobotschaft von Maschadow übergeben werden sollte, in der er sie auffordert, die Kinder frei zu lassen?
Antwort: Von der Zeit kommt es ungefähr hin. Es war tags – alles schien normal. Wir wollten die Leichen abholen – dort lagen die Körper von 21 Getöteten. Am Telefon sprach Guzerijew (Ex-Innenminister Inguschetiens) mit den Terroristen. Es wurde verabredet, dass ein Auto mit 5 Ärzten dorthin fährt. Und dann kam es im Gebäude zu einer Explosion. Die Frau, die als erste herauslief, sagte: „Jemand hat sich an irgendetwas verhakt, an irgendeinem Draht, ich weiß nicht was, ein Kidnapper hat sich verhakt... Darum kam es zur Explosion.“ Wir versuchten herauszufinden, was dort vor sich ging. Und dann begann die Schießerei. Und dann schon ein unaufhörlicher Prozess...
Frage: Eine Schießerei innerhalb der Schule?
Antwort: Nein, dort knallte es und dann stürzten die Kinder los. Als ich das erste Mal dort war, hatte ich gesehen, dass der Saal voll mit Kindern und Frauen war. Als die Explosion ertönte, stürzten sie alle zum Ausgang los. Und dann war der Brei schon ausgelaufen.
Wir baten darum, das Schießen einzustellen. Wir riefen an. Sie sagen: „Wir haben aufgehört zu schießen. Ihr schießt.“ Wir geben das Kommando „Feuer einstellen“. Aber es stellte sich heraus, dass dort noch eine dumme „dritte Kraft“ war, ich weiß nicht, wie die dort hingelangen konnten. Irgendso ein „Volkssturm“, der mit Maschinenpistolen bewaffnet entschied, die Geiseln selbst zu befreien. Und sie schossen auf die Schule.
Das bedeutet, dass weder die Einsatzkräfte, noch die Geiselnehmer schossen. Wir schreien uns gegenseitig an. „Wer schießt“ ... Und die in der Schule sagen: „Alles klar, wir müssen sprengen.“ Sie glaubten, dass wäre der Beginn des Sturms. Damit wars gelaufen. Erst da gaben wir das Signal zum Angriff.
Frage: Und wie hätten sich die Ereignisse nach ihrem Plan anders entwickeln können?
Antwort: Wir warteten auf Aslachanow (Präsidentenberater für Tschetschenien – d.R.). Ich wollte mit Aslachanow dort reingehen. Es gab eine Erklärung von Maschadow.
Frage: Maschadow hat ihnen eine Erklärung übergeben?
Antwort: Nein, wir haben sie aus dem Internet gefischt. Eine sehr gute Erklärung: „Wir kämpfen nicht gegen Kinder“usw. Die tschetschenischen Kämpfer kämpfen für ihre Unabhängigkeit, aber nicht gegen Kinder und Frauen.
Als ich die Erklärung las, wollte ich sie ihnen zeigen. Als ich mit ihnen redet, fragte ich: Mit wem gibt es Verhandlungen? Sie sagen: „Mit Maschadow“. Ich wollte ihnen zeigen: Schaut, was Maschadow sagt. Lasst sie (die Kinder) frei!
Als Aslachanow flog, habe ich in London Sakajew (tschetschenischer Emissär – d.R.) angerufen und gesagt: „Wenn Du nicht völlig Dein Gesicht verlieren willst, Achmed, dann hilf uns, die Geiseln zu befreien. Einverstanden.“ „Einverstanden“ „Dann trefft eine politische Entscheidung.“
Sie haben eine Entscheidung getroffen und die Erklärung Maschadows ist dabei heraus gekommen. Diese Erklärung wollte ich den Kidnappern geben.
Aber als Aslachanow ankam, war schon alles zu spät. Dabei war der Gedanke folgender: Sie übergeben einen Brief an Putin.
Frage: Haben sie Ihnen einen Brief übergeben?
Antwort: Ja, mir persönlich.
Frage: Was waren die wesentlichen Forderungen in dem Brief ?
Antwort: Nun, das gleiche, wie immer, wie in Budjonnowsk. Rückzug der russischen Truppen, Kontrolle der GUS-Staaten über Tschetschenien... Und wir haben ihnen gesagt, um die Situation zu verbessern, dass der Brief Putin persönlich übergeben werde. Irgendwie musste der Knoten doch zerschlagen werden. Das wichtigste, ganz ehrlich, war das Leben der Kinder. Alles andere regeln wir zu Hause.
Und sie haben sogar selbst darum gebeten, sie haben das Telefon in der Schule angegeben, damit sie wenigstens irgendein Minister anruft.
Und dieses unkontrollierte Schießen irgendwelcher Zivilisten hat das alles kaputt gemacht. Es wurde kein Sturm vorbereitet. Das ist alles Lüge, dass ein Sturm vorbereitet wurde. Niemand hat den Sturm vorbereitet. Ich war da, ein Sturm wurde nicht vorbereitet. Erst als die Sch... losging, mussten wir militärisch handeln.
Sie haben uns am Telefon angeschrien. „Wir werden gestürmt“. Wir sagen: „Es gibt keinen Sturm. Die Alfa-Gruppe steht hier.“ Sie antworten: „Auf uns wird geschossen, wir werden gestürmt. Wir sprengen.“
Frage: Sind Sie aus eigener Initiative dort hingereist
Antwort: Der Stab hat mich gebeten und so bin ich geflogen.
Frage: Warum sind nicht Sjasikow und Dsasochow dorthin gegangen, obwohl die Kidnapper sie forderten?
Antwort: Die Frage musst Du ihnen selbst stellen. Ich weiß nur, dass wir ineinhalb Tage verschwendet haben, bsi wir entschieden, wer geht. Das ist das, was ich ehrlich sagen kann, als Offizier. Das heißt, soweit ich das verstanden habe, hatten sie (die Kidnapper) drei Tage. Innerhalb von drei Tagen fällt die Entscheidung: so oder so. Und wir haben eineinhalb Tage gebraucht, um zu entscheiden, wer verhandelt.
Frage: Haben sie maskiert mit Ihnen verhandelt?
Antwort: Nein und sie haben russisch geredet. Ich habe angeboten: „Lasst uns tschetschenisch reden.“ Sie: „Nein, reden Sie russisch.“
Frage: Warum hat man Ihrer Meinung nach der Öffentlichkeit 2-3 Tage erzählt, es wären 200 -300 Menschen dort.
Antwort: Die Zahl wurde aus politischen Gründen genannt. Als ich in die Turnhalle ging, fragte ich, um sie zu beruhigen: „Erkennt Ihr mich“ „Ja“, sagen sie. Ich sage: „Ich versuche, irgendwas zu machen.“ Und dann explodierte alles.
(Auschew-Interview mit der Nowaja Gaseta, übersetzt von André Ballin/rufo)
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