Von David Nauer, St. Petersburg. Russlands städtische Jugend, die dereinst eine staatstragende Mittelklasse bilden sollte, blickt mit gemischten Gefühlen auf die kommenden Duma-Wahlen am 7. Dezember - oder sie sieht einfach weg. Das Misstrauen gegen die russische Demokratie ist groß. Zudem messen die jungen Leute den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr eine weitaus größere Bedeutung bei. Das zumindest ist die Stimmung unter Jugendlichen am Newski Prospekt.
«Meine Stimme bekommt die „Union der rechten Kräfte". Das ist wenigstens eine mehr oder weniger demokratische Partei», sagt Jelena aus St. Petersburg. Die 29-jährige Marketingfachfrau geht wenn möglich immer an die Urne. «Obwohl», räumt sie ein, «ob sie meine Stimme zählen werden, weiß ich nicht». Zu groß ist ihr Misstrauen angesichts der Mechanismen der sogenannten «gelenkten Demokratie» in Russland. «Aber solange es etwas Hoffnung gibt, dass sich etwas ändert, gehe ich an die Urne.»
Jelena ist mit ihrer Haltung gegenüber der Demokratie nicht alleine. Die gut ausgebildete und nach Westen orientierte russische Jugend ist misstrauisch gegenüber der noch ebenfalls jungen russischen Demokratie. Fast alle kennen Geschichten von Unregelmäßigkeiten bei Wahlen. Die 29-jährige Büroangestellte Asya erzählt: «Meine Großeltern wohnen auf dem Land. Dort ist der Stimmenkauf gang und gäbe. Das „verdiente" Geld haben die Leute bitter nötig - und vertrinken es doch meistens nur.» Sie selber lebt in St. Petersburg und geht zu den Wahlen, auch wenn sie nicht weiß, «was es nützt». Welche Partei ihre Stimme bekommt, hat sie noch nicht entschieden. «Einfach nicht die Kommunisten», sagt sie.
Auch der Student Maxim weiß von einer Betrugsgeschichte. Er war sogar selber dabei: «Vor einigen Jahren ist ein Bus vor dem Studentenheim vorgefahren. Alle, die mitfuhren und für einen bestimmten Kandidaten stimmten, haben 100 Rubel bekommen», erzählt der 23-Jährige. «Das war damals viel Geld», fährt er fort. «Wie der Kandidat hieß, weiß ich aber nicht mehr. Ist auch egal.» Sein Interesse für Politik hält sich auch sonst in Grenzen: «Heute würde ich nicht einmal für 100 Rubel (etwa 3 Euro) an die Urne gehen. Ich interessiere mich mehr für Musik».
Vor allem in den Duma-Wahlen sehen viele junge Russen keinen Sinn: «Zu den Parlamentswahlen? Gehe ich sicher nicht hin. Die Parteien sind alle unfähig und zu sagen haben sie sowieso nichts», sagt der 27-jährige Designer Artjom. Auch die Programmiererin Katja (29) wird am 7. Dezember nicht an die Urne gehen: «Die Kandidaten sind ja alle schon vorsortiert. Eine richtige Wahl gibt es gar nicht.» Anders sieht es mit den Präsidentschaftswahlen, die im kommenden Jahr sind, aus. Präsident Putin steht bei den befragten jungen Petersburgern hoch im Kurs. «Er ist der beste Präsident, den wir je hatten», lobt Artjom. Seit er an der Macht sei, herrsche wenigstens eine gewisse Ordnung, lautet allgemein der Tenor. Nur Elena und Asya melden Bedenken an: Ihnen gefällt Putins Nähe zum Geheimdienst nicht. „Es stimmt, es herrscht mehr Ordnung als unter Jelzin», sind sie sich einig. «Aber demokratischer ist Russland nicht geworden.»
(dan/.rufo)
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