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20-01-2004 Wirtschaft & Geld |
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Il, Tu und MiG bald aus einem Hangar?
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Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Hier vereinigen, dort teilen, privatisieren und zugleich den Staatssektor stärken: Mit einem Schlagwort sind die Reformen nicht zu umschreiben, die die russische Regierung gegenwärtig in Zivilluftfahrt und Luftfahrtindustrie plant. Klar ist nur: Die noch viel sowjetisches Erbgut in sich tragende Branche muss grundlegend umgebaut werden, um rentabel in die Zukunft zu gehen.
Während sich der Rest der Welt daran gewöhnt hat, dass ein großes Verkehrs- oder Transportflugzeug entweder ein Airbus oder eine Boeing ist, herrscht in Russland bunte Typenvielfalt: Neben Ziviljets von Tupolew, Iljuschin und Jakowlew gibt es noch Wasserflugzeuge von Berijew und Regional- und Transportmaschinen von Antonow.
Auf die Namen MiG und Suchoj hören bislang nur Militärjets. Aber auch diese beiden Unternehmen streben danach, sich mit Zivilmaschinen neue Standbeine zu schaffen. Doch dem noch nicht genug: Eine Tupolew-204, Iljuschin-96 oder Berijew-200 wurde zwar von Konstruktionsbüros dieses Namens erdacht. Gebaut werden sie aber von mehr oder weniger selbstständigen Flugzeugwerken. Die Namen dieser teils privaten, teils staatlichen Hersteller lauten WASO, KAPO, KNAAPO, Aviastar, Sokol oder Irkut – und sagen nur Eingeweihten etwas.
Insgesamt erinnert die Struktur im russischen Flugzeugbau an das Branchenbuch einer Kleinstadt: eine Seite mit Architekten, eine Seite mit Baufirmen. Gemein ist ihnen eines: Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Neue russische Flugzeuge sind faktisch Einzelstücke, denn Kundschaft ist rar: Auf dem Binnenmarkt gibt es noch zu viele alte, noch durchaus flugfähige Flugzeuge aus Sowjettagen. Und mit der Plakette „made in Russia“ verkaufen sich auf dem Weltmarkt gegenwärtig nur Kampfjets und Kunstflugmaschinen.
Um auch nur die perspektivträchtigsten neuen Modellprogramme in die Realität umzusetzen, braucht die Branche nach Expertenschätzungen bis zum Jahr 2010 etwa 5,2 Milliarden Dollar Kapital – erzielt bis dahin aber nur einen Umsatz vom 2,9 Milliarden. So hinkt die Serienfertigung des zum „nationalen Projekt 334“ erhobene neue Kurzstrecken-Jet Tupolew-334 wegen Finanzierungsengpässen um Jahre hinter seinem Zeitplan her. Einen Tag vor dem Jahreswechsel erhielt die als Ablösung der überalterten Tu-134 dringend gebrauchte Maschine zwar endlich ihre Typenzulassung. Inzwischen steckt aber MiG, wo der 102-Sitzer gebaut werden sollte, zu tief in der Krise, um mit der Serienproduktion beginnen zu können. Und mit dem Projekt eines “Russian Regional Jet“ (RRJ) arbeitet Suchoj mit Schützenhilfe von Boeing bereits fieberhaft an einem moderneren Konkurrenzprodukt – der Erstflug ist für 2006 geplant.
„Wir sind uns klar, dass beim gegenwärtigen System alle Firmen früher oder später eingehen, egal ob privat oder staatlich“, zitiert die Zeitung „Wedomosti“ den Manager einer privaten Flugzeugwerft. Um die für Russland strategisch wichtige Industrie zu retten, soll nun die große Fusion eingeleitet werden: Im Regierungsapparat wird gegenwärtig das Konzept zur Schaffung einer „Vereinigten Flugzeugbau-Gesellschaft“, abgekürzt OAK, geprüft. Nach dem Muster der deutsch-französischen EADS soll sie zum Hangar für faktisch die ganze russische Luftfahrtindustrie werden. Im Januar oder Februar kommt der Fusionsplan bei der Regierung auf die Tagesordnung, so Vizepremier Boris Aljoschin.
Im Gegensatz zu früheren Reform-Modellen ist jetzt als Ziel nur noch eine einzige Holding geplant, die außerdem mehrheitlich in privatem Eigentum sein soll. Der Staat würde sich trotz des hohen Militärproduktions-Anteils mit einer Sperrminorität zufrieden geben. Die verschiedenen Geschäftsfelder – „Kampfflugzeuge“, „Transport- und Spezialflugzeuge“, „Zivilflugzeuge“ und „Baugruppen und Komponenten“ würden wohl in Form von Tochtergesellschaften organisiert, so „Wedomosti“.
Als erster Schritt könnte schon in einigen Monaten eine Verwaltungsgesellschaft gegründet werden, aus der später der nationale Luftfahrtkonzern hervorgehen soll. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die bunte Schar der Montagebetriebe und ihre Eigner auf eine eiserne Gesamtstrategie einlässt. Denn nicht jedes Werk und jedes Modell wird überleben: Unrentable Produktionen und interne Konkurrenzverhältnisse müssen liquidiert werden.
Das Moskauer Verkehrsministerium plant dagegen, Luftfahrtunternehmen rigoros aufzuspalten, um eine andere, wenig marktgerechte russische Eigenheit zu beseitigen: 71 der 450 Verkehrsflughäfen im Lande sind noch immer in Besitz der dort stationierten Fluggesellschaft – ein Relikt der einst strikt geographisch vorgenommenen Aufsplitterung der einstigen Sowjet-Monopolairline Aeroflot.
Paradebeispiel dafür ist St. Petersburg, wo das Luftfahrtunternehmen Pulkovo sowohl die heimische Luftflotte wie auch den gleichnamigen Flughafen managt – und für russische Verhältnisse gut und krisensicher damit lebt. Konkurrenz-Airlines beklagen bei der Abfertigung oder Flugplan-Gestaltung allerdings immer wieder Benachteiligungen gegenüber der Haus-Airline. Olga Pleschakowa, Generaldirektorin der Airline „Transaero“ hält derartige Geschäftskonstruktionen für ökonomische Inzucht: „Die Fluggesellschaft kann degradieren, weil sie die Möglichkeit hat, auf Kosten des Flughafens zu leben und der Flughafen kann sich nicht vollwertig entwickeln, weil der Monopolgesellschaft nicht an der Anwerbung neuer Transporteure gelegen ist“. Sagte sie der „Iswestija“.
Im Falle von St. Petersburg könnte die Trennung trotz allen Widerstands der Pulkovo-Führung aber auch aus anderem Grunde erfolgen: Wiederum im Bemühen, seine Aktiva zusammenzuschließen, wälzt der russische Staat gegenwärtig Fusionspläne für die beiden letzten zu 100 Prozent staatseigenen Airlines: Dies sind Pulkovo und „Rossija“ mit Standort in Moskau – die unter anderem für den Lufttransport von Präsident und Regierung zuständig ist. Petersburgs Gouverneurin Valentina Matwijenko fürchtet deshalb um die von Pulkovo erwirtschafteten Steuergelder. Ihre Zustimmung zu dem Plan hat sie nur für den Fall in Aussicht gestellt, dass der Flughafen vorher ausgegliedert und der Stadtverwaltung unterstellt wird. (ld/.rufo)
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