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Der Milizionär ist ab heute keiner mehr, sondern ein Polizist - vorausgesetzt, er schafft die Eignungsprüfung (Foto: dja/.rufo)
Der Milizionär ist ab heute keiner mehr, sondern ein Polizist - vorausgesetzt, er schafft die Eignungsprüfung (Foto: dja/.rufo)
Dienstag, 01.03.2011

Russland verliert seine Miliz: Eins, zwei, Polizei!

Moskau. Zum 1. März trat in Russland das Reform-Gesetz „Über die Polizei“ in Kraft. Aus Milizionären werden nun Polizisten – wenn sie die nun nötige Neueinstellung schaffen. Alles nur ein großer Etikettenschwindel?

Die Miliz war eine sowjetische Erfindung – hervorgegangen aus den ersten Patrouillen von roten Revolutionären anno 1918. Bisher konnte sich ein Bürger deshalb guten Gewissens mit der Anrede „Genosse Milizionär“ an jeden Ordnungshüter wenden.

Wie redet man einen Polizisten an?


Aber wie spricht man jetzt, wenn das bisher größte Reformvorhaben von Präsident Medwedew umgesetzt wird, einen Beamten an? Innenminister Raschid Nurgalijew schlug unlängst „Gospodin Polizejski“ (Herr Polizist) vor – was den meisten Kommentatoren aber als üble Vergewaltigung der russischen Zunge erschien.

Nurgalijew wollte dies aber im Nachhinein nur als einen Vorschlag verstanden wissen: Die Gesellschaft werde mit der Zeit schon selbst eine angemessene Anrede für ihre Wachtmeister finden.

Ohnehin hat der Minister jetzt erst einmal andere Sorgen: Er muss die zum Stichtag 1. März nun auch offiziell angelaufene Reform des Polizei-Apparates nämlich bis zum Jahresende umsetzen.

Großreinemachen und Umbenennung


Dabei geht es nicht nur um ein Auswechseln von Türschildern, das Umlackieren der Streifenwagen und einen Austausch der Uniformen: Medwedew hatte sich zum Ziel gesetzt, die als korrupt, willkürlich, sadistisch und inkompetent geltende Miliz zu einem würdigen Organ seines Staates zu machen: demokratisch, bürgernah, korrekt und gesetzestreu – auf dass die Bevölkerung wieder Vertrauen zu den Beamten gewinnt.

Denn bisher ist es eher so, dass selbst ein unbescholtener Bürger nächtens beim Anblick einer Polizeistreife lieber die Straßenseite wechselt, wie als kämen ihm angetrunkene Raufbolde entgegen. Denn die einen wie die anderen könnten es auf den Inhalt des Geldbeutels abgesehen haben – nur die Methoden unterscheiden sich eben.

Zum 1.März wurden alle Milizionäre entlassen, sie haben jetzt ihre Posten nur „amtsverwesend“ inne. Wer weiter in den „Organen“ dienen will, muss bis Juni bei einer nun anlaufenden Attestierung des Personals für tauglich und würdig befunden werden. Dazu gehören eine ärztliche Musterung und eine psychologische Eignungsprüfung, aber auch eine Überprüfung per Lügendetektor und schließlich ein Examen zur Gesetzeslage und Rechtsfragen – einschließlich der russischen Verfassung.

Weniger Polizisten mit höheren Salären


Genau 1.106.472 Polizisten soll es laut eines am Stichtag veröffentlichten Medwedew-Ukas in Zukunft in Russland geben. Dies bedeutet gegenüber dem Personalbestand der Miliz eine Verringerung um 20 Prozent. Wer in der Vergangenheit Disziplinarstrafen kassiert hat oder die Prüfung nicht besteht, soll aussortiert werden, erklärte Medwedew.

Dafür sollen dann alle neuen russischen Polizisten ein deutlich höheres Gehalt bekommen. Junge Polizei-Leutnants sollen ab 2012 statt des Hungerlohns von 10.000 Rubel (250 Euro) mit 33.000 Rubel entlohnt werden – und auf diese Weise weniger anfällig für Korruption und kriminelle Machenschaften werden.

Korruption schon bei der Eignungsprüfung


Doch ob die nach diesem Vollwaschgang leicht eingelaufene und umgefärbte Behörde anschließend wirklich eine andere ist, das muss sich noch zeigen.

Bei Russland-Aktuell
• Polizist privatisiert Polizeiwache mit falschen Papieren (18.02.2011)
• Miliz adieu, Polizei willkommen – Gesetz ist durch (02.02.2011)
• 4 Milizoffiziere nach Anschlag in Domodedowo gefeuert (26.01.2011)
• Polizei-Reform: 1 Mrd. Rubel für neue Schriftzüge (29.10.2010)
• Neuer Fall von Milizwillkür: Ist das System zu retten? (24.03.2010)
Aussagen von Polizei-Anwärtern in russischen Medien lassen bezweifeln, dass die von Medwedew angestrebte Qualitätsänderung tatsächlich eintritt – weil der Apparat eben der gleiche bleibt: Ein junger Polizist namens Alexander sagte der Zeitung „RBK Daily“, ihm sei schon bedeutet worden, dass es sinnvoll sei, bei der medizinischen Tauglichkeitsprüfung 10.000 bis 20.000 Rubel (250 – 500 Euro) dabei zu haben – um eventuelle Gesundheitsdefizite durch eine Barzahlung ausgleichen zu können.

Ehrlichkeit, Gewissen und Offizierehre würden durch die höhere Bezahlung bei den Beamten nicht automatisch entstehen, kritisiert der ehemalige Miliz-Major Alexej Dymowski, der im letzten Jahr mit einer an Präsident Dmitri Medwedew gerichteten Videobotschaft im Internet Furore machte. Er beschuldigte darin die Führung seiner örtlichen Polizeibehörde der Korruption und der Ausbeutung ihrer Untergebenen. Dymowski wurde dafür gefeuert.

„Wenn man auf das Schächtelchen, in dem man eine Analyse zum Arzt trägt, die Aufschrift `Streichhölzer` durch `Snickers` ersetzt, wird dennoch aus dem Inhalt keine Schokolade“, ätzt der ehemalige Milizionär.

Rechtlose Polizisten dank Kritikverbot


Die Autoren des neuen Polizeigesetzes haben aus Fällen wie dem Dymowskis auch ihre Schlüsse gezogen: In Zukunft sind russische Polizisten nicht mehr berechtigt, ihre Vorgesetzten zu kritisieren, sagt der Polizeigewerkschafter Michail Paschkin – und werden damit selbst faktisch rechtlos.

So könnte jeder Beamte jederzeit an einen anderen Dienstort irgendwo in Russland versetzt werden – und sei es Tschetschenien oder Tschukotka an der Beringstraße. Wer sich weigere, dem droht die Entlassung.

Aus der einstigen Genossen-Miliz werde damit faktisch eine „Armee des Innern“ – und Paschkin stellt die rhetorische Frage, gegen wen diese wohl zu kämpfen habe: „Faktisch bereitet man die Polizei auf den Kampf mit dem eigenen Volk vor“, so der Gewerkschafter.

Russland also auf dem Weg zum Polizeistaat? Medwedew beteuert das Gegenteil: In Zukunft werden die Bürger mehr Rechte gegenüber den Beamten haben – die im Laufe der Reform auch alle sichtbar zu tragende Erkennungsmarken bekommen werden. So hat in Zukunft jeder Festgenommene einen Anspruch auf ein Telefongespräch mit ihm nahe stehenden Personen.

Ignoriertes Vorbild Georgien


Kritiker halten die Polizeireform dennoch für verunglückt und halbherzig. Und fast nur hinter vorgehaltener Hand wird in Russland darüber gesprochen, wie das „verfeindete“ Georgien vor einigen Jahren seine durch und durch korrupte Polizei erfolgreich reformierte: Es wurden einfach alle Beamten entlassen und neue eingestellt – das aber zu örtlichen Traum-Gehältern.

In der Übergangsphase gab es auf Georgiens Straßen zwar zwei Monate lang keine Verkehrspolizei – aber dafür sind jetzt Schmiergeld-resistente Streifenbeamte und vollverglaste Polizeireviere ein Markenzeichen des kleinen Kaukasus-Landes: Jeder soll immer die Möglichkeit haben zu sehen, was in der Behörde eigentlich vor sich geht.



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